Morgens halb neun in Deutschland.
Uff…
Nach nur fünf Stunden Schlaf bin ich mittlerweile seit zweieinhalb Stunden wieder auf den Beinen. Der übliche morgendliche Stress – die Familie füttern, Schul- und Arbeitsbrote schmieren, Obst in benutzerfreundliche Stücke schneiden, alles in Tupperdosen verpacken und auf die Taschen der jeweiligen Besitzer verteilen, Sohnemanns Mütze suchen und beim Zähneputzen und Rasieren den aktuellen Countdown bis zur Abfahrt des Busses durchgeben – liegt bereits hinter mir. Jetzt kommt „meine“ Viertelstunde.
Während die Kleine auf dem Sofa ihre Morgenmuffligkeit kuriert und sich mit Samson und dem Krümelmonster amüsiert, falle ich mit einer sehr großen Tasse Tee in meinen Schreibtischsessel und erwecke meine Workstation zum Leben.
Wir sind Seelenverwandte, mein Rechner und ich. Beide brauchen wir eine halbe Ewigkeit, um morgens hoch zu fahren. Aber wenn das einmal geschafft ist, dann laufen wir den ganzen Tag auf Hochtouren. Wir denken schnell, nicht immer für Außenstehende nachvollziehbar und sind in der Lage, viele Dinge auf einmal zu tun.
So gebe ich meinem Kumpel seufzend die Zeit, die er eben braucht – und freue mich gleichzeitig darüber, dass ich das Gerät, das noch vor nicht allzu langer Zeit Angstzustände bei mir ausgelöst hat, nun als treuen Wegbegleiter sehen kann.
Seit ich vor zehn Monaten eine Entscheidung getroffen habe, die mein Leben in völlig andere Bahnen gelenkt hat und das mit Sicherheit auch weiterhin tun wird, hat sich sehr viel verändert. Ich möchte wieder leben und bin entschlossen, meinen Träumen zu folgen. Mag sein, dass einige davon immer Träume bleiben werden. Andere Wünsche brauchen Zeit und Geld – und beides ist momentan nicht gerade im Überfluss vorhanden.
Es gibt aber auch Dinge, heimliche Träume, für deren Realisierung mehr Mut, Liebe, Toleranz und Organisationstalent als Geld notwendig ist. Nicht, dass es nicht hilfreich wäre…
Zugegeben, in diesen Monaten der Veränderung – und auch schon in der Zeit davor – habe ich mich mehr als einmal gefragt, ob meine Entscheidungen bisher die klügsten gewesen sind. Überhaupt zu studieren, die Wahl des Studienfachs, die Wahl des Studienortes, die Wahl des Mannes und die Überzeugung, eine verhältnismäßig junge Mutter sein zu wollen. Auf dem Abi-Ball meiner Kinder als deren Oma willkommen geheißen zu werden, war schon immer eine meiner ganz persönlichen Horrorvisionen. Die Frage, ob überhaupt Kinder oder nicht, stand eigentlich nie wirklich zur Debatte. Auch nicht zwischen Alex und mir. Dieses Thema war zwischen uns schon klar, bevor wir überhaupt ein Paar waren. Vielleicht ist es das, was ich heute am ehesten in Frage stelle: Nicht, ob der Zeitpunkt der Schwangerschaften gut gewählt war. Sondern ob ich überhaupt dafür geschaffen bin, Mutter zu sein.
Fest steht: Auch wenn ich weder eine Bilderbuch-Super-Mutter, noch eine solche Ehefrau oder Hausfrau bin – ich liebe meine Familie. Und so gebe ich mein Bestes, um das zu sein, was als Mutter von mir erwartet wird, ohne dabei mich selbst zu verlieren.
Was die Sache mit der Ehefrau angeht… Nun ja. Das ist wohl eine Frage der Definition. Jede Ehe ist anders. Wenn man es vom klassischen Standpunkt aus betrachtet, dann bin ich wohl auch darin ziemlich mies. Mein Mann hat nicht jeden Tag den Schrank voller sorgfältig gebügelter Hemden. Genau genommen war das bisher wohl nur der Fall, wenn meine Mutter zu Besuch war. Er hat auch nicht jeden Abend ein warmes Essen auf dem Tisch. Mit den zusammenpassenden Socken in der Schublade wird es ab und zu mal knapp und weil ich Bio-Müll eklig finde, trenne ich unseren Abfall nicht so sorgfältig, wie er das gerne hätte. Ich gebe zwar nur das allernötigste Geld für Schuhe aus und für Make-up überhaupt keines, dafür aber ziemlich viel für Bücher.
Die Hebamme, die mich vor und nach der Geburt meiner Kinder betreut hat, nannte mich liebevoll-neckend eine „Spätachtundsechzigerin“. Ich empfand das damals nicht gerade als Kompliment und tu das bis heute nicht, aber mittlerweile habe ich mich mit der Tatsache abgefunden, dass sie vielleicht nicht ganz Unrecht gehabt hat.
Aber unsere Ehe funktioniert.
Auch wenn die Zeile „in guten wie in schlechten Zeiten“ aus der Trauzeremonie bisher schon mehr zugetroffen hat, als sie es je sollte.
Genau genommen fand die Hochzeit statt, als ich schon mitten in meiner schlechten Zeit steckte. Nur dass das zu diesem Zeitpunkt noch niemandem so richtig klar war.
Rückblickend bleibt nur festzustellen, dass ich keinen besseren Mann heiraten konnte, als meinen Alexander.
Ich kann und will aber nicht leugnen, dass ich genau das eine Zeit lang bezweifelt habe. Je mehr sich meine Arbeit zur Sackgasse entwickelte, desto stärker traten gewisse Bedürfnisse in den Vordergrund, die ich normalerweise verdrängte und nur zu einem ganz kleinen Teil zuließ. Trotzdem mir klar war, dass diese Seite von mir immer dann verstärkt zum Vorschein kommt, wenn es mir aus irgendeinem Grund nicht besonders gut geht, begann ich, an unserer Beziehung zu zweifeln. Egal wie sehr er versuchte, mir aus meinem Tief heraus zu helfen, mir mit allem zur Seite stand, was zu geben er in der Lage war – ich kam nicht weiter und konnte nicht zurück. War eingekeilt zwischen zwei Unmöglichkeiten.
In dieser Zeit wuchs mein Bedürfnis, jegliche Verantwortung, Kontrolle und Entscheidungsgewalt abgeben zu können, ins Unermessliche. Ich kam absolut nicht mehr dagegen an – und Alex konnte mir nicht geben, was ich brauchte. Seit wir uns kennenlernten hatte ich immer die Hoffnung, er würde, wenn ich ihn behutsam an das Thema BDSM heranführe, ebenfalls Gefallen an dieser sexuellen Spielart finden. Ich hätte wohl schon viel früher erkennen müssen, dass das nicht passieren würde, aber der berühmte Groschen fiel eben erst während dieses vergangenen, schrecklichen Jahres.
Viel zu spät, aber gerade noch rechtzeitig, waren wir beide in der Lage, die einzig mögliche Konsequenz aus den Ereignissen zu ziehen.
Und damit kam vor fast einem Jahr der Neubeginn.
Den Anfang machte das Klavier. So wenig ich die tonnenschwere Last vermisste, die jahrelang auf meinen Schultern gelegen hatte – so groß war die Lücke, die der radikale Bruch mit meinem Lebensinhalt der letzten elf Jahre gerissen hatte. Plötzlich hatte mein Kopf nichts mehr zu tun. Wurde nicht mehr gefordert. Das war der perfekte Moment, mir einen lang gehegten Traum zu erfüllen und Klavier spielen zu lernen. Nach ein paar Testläufen, die zeigen sollten, ob ich überhaupt in der Lage dazu bin, meine Gehirnhälften so zu koordinieren, dass die linke Hand etwas völlig anderes tut als die rechte, stand meine neue Herausforderung fest. Und ich schenkte mir selbst zum Geburtstag dieses schöne Instrument.
Ein paar Monate später war ich allmählich wieder Mensch. Ganz langsam begannen die Wunden zu verheilen. Was sich aber nicht signifikant veränderte, war mein „dunkler Drang“. Das bisher schlummernde „Monster“ in mir war nun endgültig geweckt und gab keine Ruhe mehr. Nach vielen, vielen langen Gesprächen mit Alex und aufbauenden Worten aus dem Internet-Forum kam dann irgendwann im Sommer der Tag, an dem wir darin überein kamen, dass ich mir einen Partner suchen dürfte, mit dem ich das tun kann, was mit Alex nicht geht.
Und viel schneller als jemals gedacht, begegnete ich Johannes.
Ob all das die richtigen Entscheidungen waren? Diese Frage werde ich vielleicht meinen Enkeln irgendwann beantworten können.
Endlich ist mein Rechner einsatzbereit. Ein Mausklick bringt mich in die virtuelle Parallelwelt und voller Vorfreude gebe ich meine Zugangsdaten auf dem Portal meines E-Mail-Anbieters ein. Der Blick in das elektronische Postfach, fernab von meinem Alltag verborgen im „worldwide web“, ist zu meinem festen morgendlichen Ritual geworden und ich freue mich jeden Tag wieder auf seine Zeilen. Meist ist es nicht sehr viel, weil er meine Mails in aller Regel zwischen Aufwachen, Kaffeetrinken, Duschen und zur Arbeit gehen liest. Da bleibt nicht viel Zeit zu antworten.
Mensch, ist die Verbindung heute wieder träge…
Eine Woche ist das letzte Treffen mittlerweile her. Weil er über das Wochenende von seinem „richtigen“ Leben – dem, in dem ich offiziell nicht existiere – in Beschlag genommen war, habe ich in den vergangenen Tagen nicht viel von ihm gehört. Nur zwei kurze Mails. Davon eine aber sehr, sehr schön. Er dankte mir für meine Unterwürfigkeit und Hingabe. Und er schrieb etwas, das ich seitdem in meinem Herzen trage: „Ich bin mir nicht sicher, was ich getan habe um dich zu verdienen, aber ich bin mir bewusst, dass das Leben mir mit dir ein wertvolles Geschenk macht.“
Dann Funkstille. Bis jetzt.
Wie immer hatte ich ihm auch während seiner Abwesenheit jeden Tag eine Mail geschrieben, wohl wissend, dass er zwar ab und zu zum Lesen kommt, die Gelegenheit zu antworten aber fehlt. In absoluter Offenheit habe ich ihm geschildert, was während unseres letzten Spiels in mir vorgegangen ist, was mir Probleme gemacht hat, was weh getan hat und was nicht. Und ich habe ihm erzählt, wie ich seine sehr spärlichen Reaktionen wahrgenommen und interpretiert habe. Habe mehrere Fragen aufgeworfen, auf deren Beantwortung ich nun hoffe…
Von:Johannes Wagner<schreibanjo@yahoo.com>
An:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
Betreff:Re: guten Flug
Datum:Wed, 27. Oct 2010 08:12:42
Hallo Subbie,
bin gestern schon um 4 Uhr in der Früh geflogen, da konnte ich noch nichts lesen :) Heute ist’s eigentlich fast noch schlimmer, weil mir ist der Kaffee ausgegangen. Drama!
Ich finde es rührend wie du versuchst, mir Infos über meine Reaktionen zu entlocken. Subbie, ich weiß ganz genau dass du dir wünschen würdest, mehr Reaktionen zu sehen und dadurch bestätigt zu werden. Aber, Subbie, im Spiel machst du, was ich dir befehle. Wenn ich nicht zufrieden bin, wirst du das merken (denk an das Buch auf deinem Kopf und das was geschehen ist, nachdem es heruntergefallen ist). Vielleicht gebe ich dir beim nächsten Mal am Ende die Möglichkeit mich zu fragen, aber das wäre ein Geschenk an dich.
Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag und umarme dich fest.
Dein Herr Johannes
Von:Johannes Wagner<schreibanjo@yahoo.com>
An:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
Betreff:Re: guten Flug
Datum:Wed, 27. Oct 2010 08:23:01
PS: Eines noch. Ich mag dein Würgen beim deep-throat. Ich mag es, wenn du dich für mich überwinden musst, wenn du meine Macht spürst und für meine Befriedigung leidest.
Tja, pervers, aber so ist es :)
Ach, Jo…
Wieder keine Antworten. Jedenfalls keine, die mir wirklich weiter helfen. Obwohl es gut ist zu wissen, dass er es nicht abstoßend findet, wenn ich mit meinen Reflexen kämpfen muss, während ich ihn mit dem Mund befriedige.
Hat er Recht mit der Bestätigung? Will ich nur gebauchpinselt werden??? Hmm… Mag sein. Mag sein, dass ich zur Abwechslung gerne mal das Gefühl hätte, etwas richtig zu machen. Wenn ich schon im normalen Leben zunehmend verunsichert werde, was meine Persönlichkeit und Fähigkeiten betrifft, dann muss ich das in meinem selbst gewählten Zweitleben nicht auch noch haben. Ja. Ich hätte gern mehr Reaktionen von ihm, weil ich auf diese Art besser einschätzen könnte, ob ihm das, was ich tu, wirklich gefällt. Und ja, das würde mir wahrscheinlich die positive Bestärkung geben, die mir im Alltag als Katharina Karofillidou meist fehlt.
Frustriert lese ich die wenigen Zeilen vor mir wieder und wieder. Da offenbart man sein Innerstes und zurück kommt… naja… nicht nichts, aber verdammt wenig. Ich spüre die Welle der Enttäuschung heran rollen, versuche sie aufzuhalten, werde aber gnadenlos unter ihr begraben. Verfluchte Scheiße! Warum kann ich nicht einfach mit dem zufrieden sein, was ich habe??? Vielleicht sollte ich meine Ansprüche einfach noch weiter zurück schrauben…? Er hat ja von Anfang an gesagt, dass er kein Romanschreiber ist. Und nicht zu vergessen: Er ist ein Mann. Die haben es ja bekanntlich nicht so mit den Gefühlen. Oder zumindest meinen sie, dass das so sein müsse. Obwohl ich eigentlich nichts von Klischees halte, komme ich nicht umhin, mich gerade mit diesem zu trösten. Über mich selbst den Kopf schüttelnd sitze ich an meinem Schreibtisch und ertappe mich dabei, die Maserung der Tapete zu studieren. Bleibt mir denn wirklich nichts anderes übrig, als die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind?
Zumindest sehe ich in dieser Mail Selbstironie. Das ist gut. Es zeugt davon, dass er, trotz Kaffeeentzug, recht gute Laune hat. Und ich meine, aus diesen Zeilen eine gewisse Kenntnis meines geistigen Strickmusters herauslesen zu können.
Wiedermal beschleicht mich der Gedanke, dass es eine Art BDSM-Führerschein geben sollte. Inklusive Psychologie-Seminar. So, wie man alle werdenden Eltern theoretisch zu einer Art Grundausbildung zwangsverpflichten müsste, um Kinder vor Misshandlungen und Vernachlässigung verschiedenster Arten zu schützen, so sollte es dazu gehören, dass BDSMler ein gewisses psychologisches Basiswissen mit auf den Weg bekommen. Denn die Vertreter der Gattung „Lack und Leder“ (um es einfach auszudrücken), welche man in seriösen Foren antrifft, sind ja in aller Regel sowieso schon diejenigen, die ein gewisses Maß an Intelligenz und Interesse an „Weiterbildung“ mitbringen.
Bei dem Gedanken an das Forum fällt mir ein, dass ich eigentlich mal mein skype anwerfen könnte. Einer meiner Kontakte dort ist Frank. Er gehört zu den Menschen, die ich vor kurzem bei unserem monatlichen Forums-Stammtisch kennengelernt habe. Ich hatte all meinen Mut zusammen genommen und war allein abends mit Bahn und Taxi in eine völlig fremde Stadt gefahren, um in einem vollen Restaurant einen Haufen Leute zu suchen und zu finden, die ich nie zuvor gesehen hatte, nur weil sie meine sexuellen Vorlieben teilen. Ziemlich abgedreht... Aber es war eine durch und durch überraschend positive Erfahrung. Die anfängliche Nervosität und Unsicherheit wurde recht schnell von Neugier und Überraschung abgelöst. Und am Ende fühlte ich mich einfach nur wohl. Nicht mehr verloren, sondern aufgenommen in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter.
Mit Frank zu „reden“ wär jetzt schön. Er ist ein Dom und ein deutliches Stück älter als ich. Und er scheint Erfahrung zu haben. Was die Leute erzählen und was davon der Wahrheit entspricht, ist ja nicht immer unbedingt das Selbe. Aber seinen Äußerungen konnte ich bisher einige Dinge entnehmen, die für ihn sprechen.
Ich gebe mein Passwort ein und warte, bis sich das Fenster mit diesem merkwürdigen „dschjuuuuuuum“-Geräusch öffnet. Und wenige Augenblicke später, ich hatte gerade Zeit mich zu orientieren, wer alles online ist, macht es „plopp“ und ich stelle lächelnd fest, dass Frank schon auf mich gewartet zu haben scheint:
Amidesjeux 09:02
Guten Morgen! Wie geht’s Dir? Wie läuft’s mit Johannes?
Kathy 09:02
Hi! Gut soweit. Johannes? Alles ok, denke ich. Wie er das sieht, weiß ich nicht.
Amidesjeux 09:03
Wie – das weißt Du nicht?
Kathy 09:03
Naja, für meine Begriffe läuft es gut. Gehe davon aus, dass alles ok ist. Konnte nichts anderes feststellen.
Amidesjeux 09:05
Hmm… Redet ihr denn nicht drüber?
Kathy 09:05
Wir reden nicht so viel.
Amidesjeux 09:05
Solltet ihr aber.
Kathy 09:06
Ich weiß. Ist aber nicht so sein Ding.
Amidesjeux 09:06
Nicht ok. Ihr müsst doch drüber sprechen, was in der Session gewesen ist.
Kathy 09:07
Wir mailen fast jeden Tag.
Amidesjeux 09:07
Nicht das Selbe.
Kathy 09:07
Ja. Aber alles andere ist ihm zu viel. Und ich will nicht nerven.
Amidesjeux 09:08
Ihr telefoniert nicht?
Kathy 09:08
Nein. Nur ein einziges Mal bisher.
Amidesjeux 09:08
Oh… Klingt nicht gut. Hat nichts mit nerven zu tun. Es ist wichtig, die Stimme zu hören. Das ist doch was ganz anderes als mail.
Macht auf mich den Eindruck, als ob es ihm völlig egal wäre, wie es dir geht. 09:09
Kathy 09:09
Nein. Glaube ich nicht. Glaube er redet nur nicht gern.
Amidesjeux 09:10
Was du bisher erzählt hast, klingt aber anders.
Kathy 09:10
Was?
Amidesjeux 09:11
Die Begrüßung, es geht direkt los ohne dass ihr euch vorher unterhaltet, nichts zu trinken, die Schläge auf die Brust, die ja offensichtlich zu viel waren…
Kathy 09:13
Hätte ja mein safeword sagen können
Amidesjeux 09:13
Warum hast du nicht?
Kathy 09:15
Na es war doch eine Strafe
Amidesjeux 09:15
Die gehört auch zum Spiel!!!
Kathy 09:16
Eben
Amidesjeux 09:16
Nein! Da gelten die gleichen Grenzen!
Kathy 09:17
Wenn ich das bestimmen kann, ist es doch keine Strafe mehr
Amidesjeux 09:18
Darüber müsst ihr reden!
Kathy 09:20
Ich kann ihm doch nicht vorschreiben, wie er mich bestrafen darf!
Amidesjeux 09:20
Doch, im Prinzip schon. Das müsst ihr gemeinsam entscheiden!
Kathy 09:21
Hmm… ich weiß nicht
Amidesjeux 09:24
So wie du drüber gesprochen hast, hat es mehr weh getan, als ok war, richtig?
Kathy 09:24
Ja
Amidesjeux 09:24
Und weiß er das?
Kathy 09:25
Glaub nicht
Amidesjeux 09:25
Warum?
Kathy 09:26
Trau mich nicht es zu sagen
Amidesjeux 09:26
Warum?
Kathy 09:30
Möchte ihn nicht verlieren
Amidesjeux 09:31
Wieso solltest du?
Kathy 09:33
Er liebt seinen Rohrstock. Das hab ich von Anfang an gewusst. Er hat mir ausführlich beschrieben, wie er ihn gemacht hat und sich total drauf gefreut.
Möchte nicht jammern. Sonst passt alles perfekt. Und eine Strafe ist nun mal eine Strafe.
.
.
.
Fast drei Stunden später – wir beide hatten über die Diskussion unsere Arbeit liegen lassen und völlig die Zeit vergessen, bis mein Gesprächspartner total panisch feststellte, dass es schon Mittag sei und er in zehn Minuten ein Meeting hätte – schließe ich das Dialogfenster und starre wie betäubt auf den nun wieder dunklen Desktop. Wie Popups tauchen in viel zu schneller Abfolge Teile der Unterhaltung aus dem komplexen Speichersystem meiner Großhirnrinde vor meinem inneren Auge auf, um dann nach der unfreiwilligen Betrachtung wieder in den scheinbar endlosen Katakomben meiner grauen Zellen zu verschwinden. Sie quälen mich. Foltern mich mit der ihnen innewohnenden Logik. Ich will das alles nicht hören und sehen. Wehre mich gegen diesen Ansturm von Sachlichkeit.
„Setz die rosarote Brille ab! Der Kerl ist ein sadistisches Arschloch! Er benutzt Deine Gefühle, um Dich für seine Zwecke zu manipulieren!“
Heiße Tränen laufen mir ungehindert über das Gesicht, tropfen auf die Tastatur. Statt abzunehmen wird der Druck hinter meiner Stirn und meinen Augen immer stärker.
Wie kann er sowas nur sagen??? Johannes ist kein Arsch!
Oder?
Enttäuschung, Zweifel, Wut, Unsicherheit und noch ein anderes, nicht genau zu benennendes Gefühl, liefern sich einen erbitterten Kampf auf dem Schlachtfeld meines Verstandes.
Was ist, wenn Frank recht hat?
Was, wenn all die vermeintlich schusseligen Kleinigkeiten gar keine waren? Wenn das, was ich für Unerfahrenheit hielt, reine Nachlässigkeit war? Wenn die meiner Ansicht nach wohlüberlegte Methode der Unterwerfung tatsächlich als Egozentrik interpretiert werden muss?
Bin ich wirklich so blind?
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frank die Fakten in seinem eigenen Interesse so selektiert hat, dass Johannes in einem sehr schlechten Licht erscheint? Zwar bin nicht ich die Juristin in dieser Runde, aber auch mir ist klar, dass es Mittel und Wege gibt, sich relativ unauffällig die Argumente herauszupicken, die einem gerade in den Kram passen. Wie war das noch? Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Einer der Leitsprüche in meinem Fach. Und meinen Schopenhauer hab ich auch gelesen. Der Philosoph war zwar nicht gerade ein Sympathieträger und hatte für Frauen offensichtlich nur in sexueller Hinsicht etwas übrig, aber sein erst nach seinem Tod erschienenes Werk „Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten“ aus dem Jahr 1864 hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Frank hatte sich keine große Mühe gegeben, sein Interesse an mir als Sub zu verbergen. Das Angebot war offensichtlich. Würde er tatsächlich so weit gehen, Johannes schlecht zu machen, ohne ihn überhaupt zu kennen? Will er mich so unbedingt, ohne mich auch nur unbekleidet gesehen zu haben?
Andererseits sind seine Argumente nicht von der Hand zu weisen.
Mich damals direkt beim allerersten Spiel mit dem Rohrstock zu schlagen, war sicher nicht der klügste Schachzug und vermutlich eher aus der Lust als aus dem Verstand geboren. Die Session nach einer längeren Zeit der räumlichen Trennung direkt mit Betreten der Wohnung zu beginnen, ohne sich die Zeit zu nehmen, sich zuerst wieder einander anzunähern, war wohl auch keine so gute Idee. Ich fand den Gedanken eigentlich gar nicht so schlecht, weil es so wahrscheinlich leichter ist ins Spiel zu finden, als wenn man erst eine halbe Stunde auf dem Sofa sitzt und dann auf einmal in den Sub- bzw. Dom-Modus umschalten muss. Aber mir fehlt die Erfahrung, um das tatsächlich beurteilen zu können. Wenn mir also ein erfahrener Dom sagt, dass es dringend notwendig ist, sich vor Beginn des Spiels im Klaren darüber zu sein, in welcher physischen und psychischen Verfassung sich der Gegenüber befindet, dann werde ich mich hüten, diesen wahrscheinlich gut gemeinten Ratschlag in den Wind zu schlagen.
Andere Dinge, wie zum Beispiel die Frage des Trinkens oder Essens, haben mich zwar selbst auch schon gestört, aber ich habe mich darüber nicht beschwert, weil ich der Meinung war, dass sich diese Kleinigkeiten mit der Zeit von selbst ergeben würden. Auf die Idee, meinem Herrn sagen zu müssen, dass ich zwischendurch etwas zu trinken brauche, wäre ich schlicht nicht gekommen. Sieht so aus, als ob das nicht so selbstverständlich wäre, wie ich dachte.
Genau wie das Telefonieren. Hier hat Frank auf jeden Fall den Finger in eine offene Wunde gelegt. Auch wenn mir das zutiefst widerstrebt werde ich Johannes wohl klar machen müssen, dass mein Bedürfnis nach Kommunikation das bisherige Maß eben dieser zwischen uns beiden deutlich übersteigt.
Seit einer halben Ewigkeit sitze ich nun schon am Schreibtisch, den leeren Blick auf den Monitor gerichtet und grüble vor mich hin. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Während die Tränen mittlerweile versiegt sind, sind die Kopfschmerzen nur noch schlimmer geworden.
Mein Bauch sagt mir, dass Johannes in Ordnung ist. Aber einige der Fakten und ein erfahrener Dom sprechen deutlich gegen ihn. Was soll ich nur tun? Die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass mein Bauchgefühl zwar sehr oft richtig ist, in ein paar entscheidenden Fällen jedoch völlig versagt hat. Und diese Angelegenheit ist definitiv zu heikel, um unnötige Risiken einzugehen. Hier geht es nicht nur darum, am Ende von einer Person enttäuscht zu sein. Oder sich ausgenutzt zu fühlen. Hier geht es um meine körperliche und geistige Gesundheit. Vernebeln mir die Gefühle, deren Existenz ich nicht leugnen kann, wirklich die klare Sicht auf den Mann, dem ich mich anvertraut habe?
Noch ist genug Vernunft in mir, um Franks Nutzen an meinem Dilemma zu sehen. Weiter hilft mir das jetzt aber auch nicht. Meine Überlegungen hängen in einer Endlosschleife fest. Was ich jetzt brauche, ist die Meinung einer Sub. Genau! Hastig wähle ich zum bisher erst zweiten Mal die Nummer von Steffi, einer Bekannten aus dem Forum – und bete, dass sie da ist und sich nicht gestört fühlt. Bisher haben wir uns leider noch nicht persönlich getroffen, aber verschiedene Gespräche und Meinungen über gemeinsame Bekannte haben deutlich gemacht, dass wir auf einer recht ähnlichen Wellenlänge liegen.
Sie ist da. Und sie hört mir zu. Da sie Johannes aber auch nur aus meinen Erzählungen kennt, ist das Fazit nach etwa einer Stunde: Rede mit ihm!
Unterdessen ist es Nachmittag. Das Gespräch mit Steffi hat mich etwas ruhiger gemacht, so dass ich in der Lage bin, für den Rest des Tages meinen mütterlichen Pflichten nachzukommen, ohne meine Kinder allzu viel von meinem Gemütszustand spüren zu lassen.
Trotzdem sehe ich mich am Abend nicht in der Lage, wie sonst eine Mail an Johannes zu verfassen. Ich kann einfach nicht.
Außerdem kommt er ja sowieso heute und in den nächsten Tagen nicht zum Lesen und Antworten, weil ja Daniela, seine Freundin, heute kommt. Zumindest hat er das gesagt. Somit kommt telefonieren noch weniger in Frage als eh schon.
Der Rest des Tages verläuft in einer Art Trance. Ohne mir auch nur einen einzigen Moment Frieden zu gönnen, dreht sich mein Gedankenkarussell immer weiter. Wieder und wieder tauchen die gleichen Bilder vor mir auf, um sofort einem anderen zu weichen. Eigentlich mag ich Karussells. Aber dieses hier verursacht mir Übelkeit. Mein Bauch tut weh. Das Abendessen lasse ich ausfallen.
Der letzte Gedanke vor dem Einschlafen gilt Johannes...
... und der erste am nächsten Morgen auch.
Von:Johannes Wagner<schreibanjo@yahoo.com>
An:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
Betreff: schwierig
Datum:Thu, 28. Oct 2010 07:44:32
Hallo liebe Subbie,
heute in der Früh habe ich dein Email vermisst. Ich hoffe es ist alles in Ordnung bei dir und es geht dir gut. Ich hoffe auch, du bestreikst mich nicht :) es ist inzwischen zu einer lieben Gewohnheit von mir geworden, deine Emails in der Früh zu lesen. Wenn keines da ist, fehlt etwas...
Heute kommt übrigens meine Freundin und bleibt bis Sonntag. Wird also in den nächsten Tagen ein wenig schwierig werden mit Emails von mir.
Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag,
dein Herr Johannes
Wie, sie kommt erst heute??? Das ist doch jetzt wohl nicht wahr! Soll das heißen, ich hab gestern ganz umsonst Bauchschmerzen gehabt? Ich hätte ihn anrufen und das aus der Welt schaffen können??? Grrrrrrr... Habe ich ihn falsch verstanden oder hat er wiedermal vergessen, einen Blick auf den Terminplan in seinem iPhone zu werfen und sich stattdessen auf sein löchriges Gedächtnis verlassen? Wie auch immer - jetzt ist die Chance vorbei. Nun muss ich bis Montag warten.
Und was ist das mit dem „Ich hoffe Du bestreikst mich nicht“? Klingt ja schon so, als ob da jemand schlechtes Gewissen hätte…
Erst mal nimmt der Tag seinen gewohnten Lauf. Weil quengelnde Kleinkinder nicht viel Spielraum für Grübeleien lassen, komme ich erst wieder dazu an die bevorstehende Aussprache zu denken, nachdem ich die Kleine im Kindergarten abgeliefert habe und durch den grauen Herbstmorgen wieder nach Hause laufe.
Das Wetter schreit geradezu nach dicken Wollsocken, einer schönen Tasse heißem Tee und einem guten Buch. Normalerweise genieße ich solche Tage. Man darf es sich daheim gemütlich machen ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil man nicht wie ein Duracell-Häschen im Freien unterwegs ist. Während es im Sommer schon fast als Frevel betrachtet wird, wenn man sich außerhalb der Arbeitszeit in geschlossenen Räumen aufhält, gilt es jetzt als heimelige Gemütlichkeit, wenn man sich mit einer Kuscheldecke auf das Sofa zurückzieht, das Fahrrad und die Picknickdecke in der Garage sich selbst überlässt und sich der Illusion hingibt, dass die Aktivitäten der warmen Jahreszeit bis zum nächsten Frühling vorhalten.
Obwohl dieser Tag also wie für mich geschaffen zu sein scheint, kann ich ihn nicht genießen. Zwar war es gut, eine Nacht über all die wirren Gedanken geschlafen zu haben und das Ganze heute aus einer geringfügig veränderten Perspektive betrachten zu können, aber das ihm gegenüber bis jetzt Unausgesprochene liegt vor mir wie ein unüberwindliches Gebirge. So etwas habe ich gerade hinter mir und wollte es eigentlich nicht so schnell wieder erleben! Also setze ich mich schweren Herzens und mit einem komplizierten Knoten im Bauch an meinen Computer, hole mir seine letzte Mail wieder auf den Schirm und klicke auf das „Antworten“-Feld…
Selbst meine lebensverändernde Mail, die ich einige Monate zuvor geschrieben habe, hat mich nicht so viele Stunden gekostet, wie diese hier. Es dauert fast den ganzen Tag, nur unterbrochen von den allernötigsten Arbeiten, bis ich in etwa das zu Papier gebracht habe, was ich sagen möchte. Jetzt bleibt mir nur noch zu hoffen, dass er es versteht.
Von:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
An:JohannesWagner<schreibanjo@yahoo.com>
Betreff: Kopfschmerzen
Datum:Thu, 28. Oct 2010 23:58:01
Lieber Johannes,
interessant. Was bringt Dich denn zu der Frage, ob ich Dich bestreike?
Irgendwelche mehr oder weniger unterschwelligen Schuldgefühle? Hmmm...
Ich war gestern schlicht und ergreifend nicht mehr in der Verfassung, eine sinnvolle Mail zu schreiben. Bin mir ehrlich gesagt noch nicht mal sicher, ob ich es heute tun sollte. Die Ursache war, so glaube ich, eine Kombination aus meiner momentan aufgrund der Untätigkeit eh schon nicht so tollen seelischen Verfassung und einem skype-Gespräch mit jemandem aus dem Forum. Ich
meine, Dir schon von ihm erzählt zu haben, bin mir aber grad nicht sicher. Kann auch sein, dass ich nur mit Steffi drüber gesprochen habe. Das Gespräch drehte sich im Prinzip wiedermal um Dich. Da die Leute, mit denen ich näheren Kontakt habe, wissen, dass ich so gut wie keine BDSM-Erfahrung habe, sind sie besorgt um mich und fragen öfter mal nach, wie es mir geht. Manchmal stelle ich auch Fragen von mir aus. Aber nicht sehr häufig. Deine Leidenschaft für den Rohrstock (übrigens gab es da eine recht große Definitions-Diskussion) gibt mindestens zwei von ihnen stark zu denken. Der Mann, mit dem ich gestern geskypt hab, hält Dich – entschuldige bitte meine Offenheit an dieser Stelle - für ein sadistisches Arschloch.
Kannst Du Dir vorstellen, dass mir das zu schaffen macht???
Ich werde (nicht nur von ihm) gefragt, wie dies und jenes läuft, wie ich bestimmte Dinge empfinde, wie Du Dich in bestimmten Situationen verhältst oder welches Verhalten Du von mir forderst / erwartest. Und Du kennst mich - ich antworte ehrlich. Er hat, nicht zum ersten Mal, die Meinung geäußert, dass Du mich ausnutzt. Deine Intelligenz gepaart mit meiner Unerfahrenheit und meinen Gefühlen. Sämtliche Argumente, die meiner Ansicht nach gegen diese Theorie sprechen, hat er gut widerlegt. Nun bin ich mir selbstverständlich vollkommen dessen bewusst, dass auch dieser Mann seine ganz eigenen Interessen hat! Kann aber trotzdem seine Argumentation nicht vollkommen außer Acht lassen.
Und das macht mich, ehrlich gesagt, ziemlich fertig.
Ich wälze diese ganzen Dinge in meinem Kopf hin und her. Versuche, die Informationen zu analysieren. Was ich an verschiedensten Stellen gelesen habe, was ich aus Gesprächen gelernt habe, unsere mündliche und schriftliche Kommunikation, dein Verhalten, meine seelischen und
körperlichen Empfindungen. Immer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass mein Bauch zwar oft richtig liegt, aber öfter auch schon gründlich daneben. Dass ich Menschen Zuneigung entgegengebracht und vertraut habe, die mich tatsächlich nur benutzt haben. Bevorzugt als seelischen Mülleimer. Aber auch als Chauffeur, Sprachrohr, Bettwärmer / Lehrerin / Zeitvertreib / Lustobjekt, Dekorationsgegenstand, Wettgegenstand,...
Ich habe Angst, meiner Intuition zu vertrauen. Angst, dass ich mich wirklich zu sehr von meinen Gefühlen und zu wenig von meinem Verstand leiten lasse. Zu viele Dinge als gegeben hinnehme.
Diese ganzen Überlegungen verursachen mir so schlimme Kopfschmerzen, wie ich sie seit Monaten nicht mehr hatte. Ich möchte eigentlich nicht über sowas nachdenken. Hab aber die Lektion lernen müssen, dass es gelegentlich ganz gut ist, den Worten älterer, erfahrenerer Menschen Beachtung und vielleicht auch Glauben zu schenken.
Es ging mir gestern also nicht so richtig gut. Und die Tatsache, dass ich Dich nicht einfach anrufen und mit Dir darüber sprechen konnte, hat es nicht besser gemacht.
Nebenbei: Du hattest mir gesagt, dass Deine Freundin ab Mittwoch da sein würde. Ich trau mich ja eh schon nicht, Dich anzurufen oder um einen Anruf zu bitten. (Bis auf das eine Mal.) Und mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass Du Besuch hast, noch viel weniger.
Ich gebe zu, ich hätte es gestern verdammt gut brauchen können, Deine Stimme zu hören. Bzw. ich hätte das Gefühl gebraucht, dass da mehr ist als "Ich mag es (...) wenn du meine Macht spürst und für meine Befriedigung leidest." Verstehst Du, was ich meine? Ich glaube zwar zu wissen, dass da mehr ist - aber vielleicht möchte ich das auch nur glauben!? Das ist irgendwie kompliziert.
Vor allem möchte ich nicht über solche Dinge nachdenken müssen, wenn ich mit Dir zusammen bin! Ich möchte mir sicher sein können, dass Du mir seelisch nicht weh tust - und körperlich nur so weit, wie ich es ertrage. Dass Dir klar ist, wann der Lustschmerz in echten Schmerz übergeht. Und Du das mit Bedacht einsetzt. Ich möchte mir die wenige Zeit, die wir zusammen haben, nicht mit solchen Grübeleien kaputt machen.
Und ich hasse es wie die Pest, Dir sowas schreiben zu müssen!
Aber Du kannst mich nicht sehen und Du kannst mich nicht hören und so von allein darauf kommen, mich in den Arm zu nehmen und zu fragen, was los ist. Du bekommst nicht mit, wie ich stundenlang mein Klavier malträtiere um den Kopf frei zu bekommen und die Schmerzen los zu werden. Also muss ich es Dir schreiben, auch wenn ich mir dabei total blöd vorkomme und Angst hab, Dich damit zu verärgern.
Tut mir leid.
Selbstvertrauen ist grad nicht meine Stärke.
Sei mir nicht böse...
Deine Cat
Einen Moment lang schwebt der Mauszeiger über dem kleinen, schwarzen Kreuzchen in der rechten oberen Ecke des Dialogfeldes. Bereit, alles wieder zu löschen. Aber die nervige, kleine „Spätachtundsechzigerin“ auf meiner Schulter stampft trotzig mit dem Fuß auf und schimpft die kleine Sub, die auf der anderen Schulter zusammengekauert und zitternd in der Halsbeuge hockt, einen dummen Feigling.
Schnell klicke ich auf „Senden“.
Am nächsten Morgen trete ich gerade aus dem Kindergarten wieder auf die Straße, als mich ein „ding-dong“ aus meiner Jackentasche darüber in Kenntnis setzt, dass ich eine SMS bekommen habe. Augenblicklich schießt mein Puls in die Höhe und meine Hände zittern ein wenig, als ich nach meinem Handy greife und mit dem Schlimmsten rechne.
Johannes Wagner
29.10.2010 07:52
Dein Email hat mich total geschockt. Ist das dein Ernst? Ich dachte du genießt es so wie ich. Ich dachte ich passe gut auf dich auf und erkenne deine Grenzen. Ich bin echt fertig deshalb. Reden geht erst am Montag. Ich könnte jetzt eh nicht. Das muss aber unbedingt besprochen werden. Sorry für alles. Jo
Sofort überrollt mich eine monströse Welle von Schuldgefühlen. Was hab ich nur getan??? Aber gleichzeitig ist da ganz weit hinten in meinem Kopf ein zaghaftes, kleines Stimmchen, das Widerspruch einlegt: Wenn er wirklich wollen würde, dann würde sich eine Gelegenheit zum Telefonieren finden… Oder?
Ich schreibe ihm kurz zurück, möchte ihn beruhigen und komme zu der Erkenntnis, dass ich ihm wohl noch etwas mehr in die Hand geben muss.
Von:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
An:Johannes Wagner<schreibanjo@yahoo.com>
Betreff:neuer Versuch
Datum:Fri, 29. Oct 2010 18:31:17
Lieber Johannes,
ich sitze jetzt hier schon seit einer halben Stunde und verwerfe einen Anfang nach dem anderen.
Von Angesicht zu Angesicht reden wäre in diesem Moment tausendmal besser als zu mailen.
Ständig lösche ich meine Sätze wieder, weil ich um Gottes Willen nichts Falsches sagen will!!!
Lass mich bitte versuchen, Dir eine so einfach wie mögliche Kurzfassung zu geben, ja? Ich hab nämlich das Gefühl, dass Du mich missverstanden hast.
Jetzt hab ich grad alles gelöscht, was ich den halben Tag lang geschrieben habe...
Ich komme mir total zickig und kleinkariert vor.
Die Problematik liegt nicht im Beinahe-Überschreiten einer Schmerzgrenze. Sie liegt für meine Begriffe nur zum Teil in der Art des Spiels. (Für jemanden, dessen Fantasien nie wirklich Schmerz beinhalteten, ist das ne Menge relativ intensiver Schmerz auf einmal.) Der Teufel scheint wohl mehr
im Detail zu liegen. In den kleinen, mehr oder weniger normalen Dingen.
Es tut mir leid - ich hab einen Zettel mit Beispielen hier liegen, aber ich bring es einfach nicht über mich, das hier aufzuschreiben. Das ist so tussimäßig. Zicke. Das will ich nicht sein. Nach Meinung anderer sollte ich das aber sein. Damit komme ich einfach nicht klar.
Wir reden hier von ganz einfachen Dingen. Streicheln, trinken, zwischendurch mal nachfragen, telefonieren, über unangenehme Themen wie Regel oder Hämorriden auch reden,... Wir haben nie wirklich über Tabus gesprochen. Über Deine noch weniger als über meine. Beispiel: Was ist mit Cunnilingus? Ich hab den Eindruck Du vermeidest das. Warum? Magst Du das generell nicht? Ist die betreffende Region in meinem Fall einfach nur zu hässlich? Stößt Dich der Geruch ab? (Generell: Rieche ich für Dich angenehm? Meine Haare, mein Körper, mein Intimbereich, mein Parfum?) Oder bist Du nur einfach der Meinung, dass ich das (noch) nicht verdient habe? Damit könnte ich leben.
Streichelst Du mich nicht, weil...
Sch... Ich kann das nicht.
Du schaffst es, mir gleichzeitig Selbstbewusstsein und Stärke zu geben und eine Million Selbstzweifel in mir zu wecken.
Sorry.
Ich quäl mich jetzt schon ewig mit dieser Mail rum.
Ich halte Dich NICHT für ein s...A...!!!!!!!!!!!!!
Höchstens für einen Kommunikationsmuffel.
Ich hoff ich hab es jetzt nicht noch schlimmer gemacht.
Ich hab Dich sehr, sehr gern und wollte Dich weder schocken, noch fertig machen noch verärgern. Tut mir leid.
Deine Cat
Von:Johannes Wagner<schreibanjo@yahoo.com>
An:Katharina Karofillidou<dreamingcat09@yahoo.com>
Betreff:Re: neuer Versuch
Datum:Sun, 31. Oct 2010 07:01:29
Liebe Cat,
ich kann nur kurz schreiben aber wollte zwei Sachen sagen: ich bin recht hart im Nehmen, also keine Sorge, ich lauf schon nicht davon :) und ich denke seit deinem Email drüber nach, was ich vernachlässigt habe und versuche es besser zu machen. Reden wir morgen.
Umarmung,
Johannes
Lieber Gott, mach dass die nächsten sechsunddreißig Stunden schnell vorbei gehen! Wenn ich nicht bald seine Stimme höre, dreh ich durch! Ich möchte ihm so gern glauben können…
Endlich ist es Montagabend.
Da Pünktlichkeit zwischen uns beiden bisher kein Problem war - auch wenn ich das ein oder andere Mal etwas ins Schwitzen gekommen bin, um die verabredete Uhrzeit einhalten zu können – rechne ich jeden Moment mit seinem Anruf. Die Kids sitzen mit Apfelschnitzen, Karotten-Stäbchen und Gurkenscheiben versorgt im Wohnzimmer auf dem Sofa und schauen „Lauras Stern“. Diese Maßnahme sollte mir theoretisch eine Stunde Ruhe verschaffen, bevor die Monster mit dem Ende des Films wieder aus der TV-Trance erwachen. Und dann wird auch Alex wieder da sein… Mit dem Telefon in der Hand mache ich mich auf den Weg durch die Wohnung, um einen ungestörten und möglichst unbelauschten Ort für das anstehende Gespräch zu finden. Die Küche fällt leider aus. Viel zu nah an den neugierigen Ohren meines Sohnes. Also weiter. Das Schlafzimmer. Ruhig, keine Ablenkung – klingt prima… Aber nur, bis ich die Tür geöffnet habe und mir eisige Kälte entgegen schlägt. Shit! Ich hab heut früh nicht dran gedacht, das Fenster zu zu machen. Und draußen pfeift ein handfester Herbststurm um die Häuser… Bibbernd behebe ich diesen Fehler, drehe die Heizung ein wenig auf und sehe zu, dass ich Land gewinne. Bleibt nur noch das Kinderzimmer. Da macht sich mein Lese-Kuschelhöhlen-Tick doch endlich mal bezahlt. Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich auf das Bett meiner Tochter fallen. Und exakt in dem Augenblick, in dem ich mich zwischen den Plüschtieren und Kissen zurecht gekuschelt habe, ertönt Pachebels Canon aus meiner Hand.
„Hallo Subbie…“
Als mich der Klang seiner schuldbewusst-misstrauischen Stimme aus dem winzigen Lautsprecher meines Mobiltelefons trifft – eine fast schon absurde Mischung aus kleiner Junge und absoluter Autorität – möchte ich ihm am liebsten auf der Stelle um den Hals fallen.
Ob er sich wohl im Klaren darüber ist, welchen Effekt seine Modulation hat? Welche Macht in seiner Klangfarbe liegt?
Vermutlich nicht. Aber was ist, wenn Frank Recht hat? Wenn Johannes sich seiner Wirkung auf mich sehr wohl bewusst ist? Er ist definitiv intelligent genug, diese zu erkennen und gegebenenfalls für seine Zwecke zu nutzen. Stellt sich die Frage, ob das der Fall ist. Alles in mir schreit ‚Nein‘! Bei dem Gedanken daran, ihn so falsch eingeschätzt zu haben, krampft sich mein Bauch schmerzhaft zusammen. Ich möchte diesen Verdacht, diese Unterstellung, am liebsten ganz weit weg schieben. Die Vorstellung, derartig manipuliert zu werden, schmerzt zu sehr.
Ungewollt und unerwünscht taucht vor meinem inneren Auge die Filmszene auf, in der Hannibal Lecter beim Dinner das Gehirn des Justizbeamten Paul Krendler kunstvoll seziert, paniert und sautiert, während er formvollendet Konversation betreibt.
Das Erschreckende ist, dass die Vorstellung, komplett SEIN zu sein, etwas sehr Verheißungsvolles an sich hat… In gewisser Weise erwarte ich ja sogar von ihm, dass er sich mit meiner Psyche auseinander setzt, um die daraus resultierenden Erkenntnisse dann zu unser beider Wohl und Vergnügen einzusetzen. Mit Betonung auf ‚unser beider‘. Das ist der springende Punkt. Solange ich mir sicher sein kann, dass das, was er mit mir tut, im positiven Sinne durchdacht ist, ist alles in Ordnung. Dann bin ich auch gern bereit Unbequemlichkeiten, Unbehagen oder Schmerzen zu ertragen, die über das lustvolle Maß hinaus gehen. Ich will und werde mich komplett seiner Führung überlassen, wenn ich darauf vertrauen kann, dass ihm an meinem Wohlergehen gelegen ist.
Reiß Dich zusammen, Cat!
Ich hefte meinen Blick auf das luftige Mobile aus orangen und violetten Kreisen, das von einem sanften Hauch in Bewegung versetzt unter der Decke schwebt. Nehme mir fest vor, so objektiv wie irgend möglich zu sein.
„Hi!“
„Also, warum bin ich denn nun ein sadistisches Arschloch?“
Im Stillen beneide ich ihn um seine Gelassenheit und den Anflug von Humor, mit dem er diese Sache anzugehen scheint.
Und dann reden wir.
Und reden.
Und reden.
Und lachen.
Und nach etwas mehr als zwei Stunden ist meine Welt wieder in Ordnung.
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