„Glo-o-o-o-o-o-O o-o-o-o-o-O o-o-o-o-o-O o-o-o-o-o-O o-o-o-o-o-O ri-a Ho-san-na in ex-cel-sis!“
Ein kleines Zeichen unseres Chorleiters und der letzte Ton wird sauber beendet.
Uff. Geschafft. Erstmal durchatmen. Und den verschwitzten Pulli vom Rücken lösen. Dieses Stück ist anstrengend. Zwar muss ich nur bis zum f ’’ hoch – für einen Sopran keine Hürde – aber knapp sechs Takte Glorias ohne zu atmen gehen dann doch ein bisschen an die Substanz. Vor allem, wenn man seit fast einer Stunde nichts anderes singt.
Während ich versuche, meine Bauch- und Beinmuskeln etwas zu lockern, soweit das in den leicht beengten Verhältnissen hier möglich ist, fische ich in der Hosentasche nach meinem Handy.
Ob er wohl gut hergefunden hat?
Möglichst unauffällig, um mir keinen Ärger einzuhandeln, auch wenn die Probe jetzt eigentlich zu Ende ist, deaktiviere ich die Tastensperre und werfe einen prüfenden Blick auf das Display. Mahnend leuchtet mir ein roter Pfeil entgegen. Mist!
Plötzlich sind alle himmlischen Glocken und singenden Engel völlig egal und Panik steigt in mir auf. Ein verpasster Anruf. Oh, bitte nicht! Bitte sag mir jetzt nicht, dass Du es nicht geschafft hast. Dass Du es nicht gefunden hast und jetzt mit Wut im Bauch wieder auf dem Heimweg bist. Oder dass Du irgendwo mit einer Panne am Straßenrand in der Kälte stehst. Bitte, bitte nicht!
Verstohlen und in Windeseile tippe ich: „mom, gleich Ende“ und bete, dass alles in Ordnung ist. Noch nie habe ich das Ende einer Probe derartig herbeigesehnt. Normalerweise bin ich so in die Arbeit vertieft, dass ich gar nicht auf die Idee komme, auf die Uhr zu schauen.
Aber hier und heute ist nicht „normalerweise“. Ich sitze oder stehe nicht wie sonst mit zwanzig Mann im Nebenraum einer Kirche, sondern befinde mich gemeinsam mit hundert anderen Menschen in einem Konzertsaal. Dieses vorweihnachtliche Chorprojekt vereint eine Zenturie von Männlein und Weiblein zwischen 14 und 74 Jahren unter einem Dach – völlig unabhängig von gesangstechnischen Vorkenntnissen. Dank der umsichtigen Planung unseres Chorleiters Patrick, die strategisch platzierte Inseln von jeweils zwei bis drei erfahrenen Chorsängern inmitten von weniger sicheren oder völlig unerfahrenen Sangesfreudigen beinhaltet, finde ich mich umgeben von den unterschiedlichsten Fremden. Neben mir die älteste Teilnehmerin in der Gruppe. Sehr nett, eine fitte und richtig liebe Omi. Leider mit strengem Mundgeruch, der besonders gut zur Geltung kommt, wenn sie sich vertrauensvoll zu mir lehnt und flüsternd eine Frage an mich richtet. Auf der anderen Seite eine Frau meines Alters, die bereits einige Chorerfahrung hat und sehr gut singt, dafür aber die Nase derartig weit oben trägt, dass es reinregnet. Hinter mir zwei Tenöre wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, die mir direkt in die Ohren singen und die zu ignorieren in den kommenden Wochen meine ganz persönliche Herausforderung sein wird, und vor mir zwei nach billigem Parfum stinkende Wechseljahr-Zicken, denen die Schminke aus dem Gesicht zu bröckeln droht, wenn sie den Mund beim Singen versehentlich so weit öffnen würden, wie sie es theoretisch sollten.
Heute ist die zweite von sieben geplanten Proben, an die sich zwei Konzerte anschließen werden. Ich hadere mit meiner Entscheidung an diesem Projekt teil zu nehmen, aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Auch wenn die Stücke erstmal nicht so ganz mein Fall sind und mir die Masse der Leute unangenehm ist. Kneifen steht nicht zur Debatte. Dafür singe ich zu gern – vor allem klassische Weihnachtslieder – und dafür ist die Arbeit mit Patrick viel zu schön.
Ein paar Jahre und ein bisschen Lebenserfahrung mehr - und der Kerl könnte einen verdammt guten Dom abgeben. Selbstbewusst, willensstark, intelligent, einigermaßen gutaussehend, von Natur aus dominant, eine verheißungsvolle Stimme und grundsätzlich einfühlsam. Er kann hart sein und unerbittlich durchgreifen, genauso wie er seine sanfte Seite zeigen kann. Aber momentan ist er noch zu jung. Noch zu ichbezogen, in seinem Handeln manchmal sehr unreif. Was ihm fehlt ist die Art von Erfahrung, von Rückschlag, die einen fürs Leben lernen lässt.
Meine Gedanken wandern wieder zu dem Mann, der all das schon hat und ist. Zu Johannes.
Und damit zu der zweiten Sache, die heute anders ist als sonst. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich nach der Chorprobe noch gemütlich einen Plausch mit meinen Mitsängern halte und dann nach Hause zu meinem Mann, der mir seit mehr als zehn Jahren vertraut ist, fahre – oder ob vor der Tür ein anderer wunderbarer Mann auf mich wartet.
Mein Herr.
Unwillkürlich schlägt mein Magen Purzelbäume und zwischen meinen Beinen beginnt es zu kribbeln...
Plötzlich raschelt die Omi neben mir mit ihrem Notenheft. Shit! Ich habe geträumt und dabei nicht mitbekommen, was jetzt angesagt ist. Ein kurzer Blick auf die Überschrift der nun aufgeschlagenen Seite schafft Klarheit. Offensichtlich hat Patrick sich entschlossen ein wenig zu überziehen und den Abend pädagogisch sinnvoller Weise mit dem leichten Stück zu beenden, das fast jeder kennt und mehr oder weniger vom Blatt gesungen werden kann. Ein entspannendes Erfolgserlebnis zum Abschluss, das einen die Schinderei der letzten Stunde vergessen lässt. Grrrrrrr! Warum muss er ausgerechnet heute derartig vorbildlich sein? Johannes steht – hoffentlich – vor dem Haus und wartet auf mich! Ich will hier raus!!! Aber das kann ich jetzt nicht bringen. Ich müsste mich durch die ganze enge Stuhlreihe quetschen und über ein Dutzend Taschen steigen, während mich alle anderen mit Blicken erdolchen würden. Also finde ich mich ungeduldig zappelnd damit ab, noch ein paar Minuten ausharren zu müssen.
Mit dem Ende des Liedes erfolgt der allgemeine Aufbruch. So schnell es irgendwie geht winde ich mich zwischen den Stühlen hindurch zur Garderobe, schnappe mir meine Jacke und die Reisetasche und stürme, ohne ein Wort des Abschieds an irgendjemanden, aus dem Saal, die Treppen hinunter und hinaus auf die Straße. Alles was ich in diesem Moment will, ist in seinen Armen zu liegen, den ihm eigenen Duft aus einem ganz dezenten Hauch von „fuel for life“, einem langen Bürotag und Kaffee in mich aufzunehmen und meinen Frieden in seiner Ausstrahlung von Ruhe und Sicherheit zu finden.
Aber keine Menschenseele ist zu sehen. Nur die vielen geparkten Autos der Sänger. Selbst wenn ich bei der Dunkelheit die einzelnen Modelle unterscheiden könnte würde mir das nichts bringen, weil ich nicht weiß, mit welchem der Fahrzeuge aus dem car-sharing-pool er heute gekommen ist. In der feuchten Kälte der Novembernacht stehe ich allein auf der Straße, blicke suchend um mich und versuche mit aller Macht, die aufkommende Enttäuschung nieder zu kämpfen. Nein! Ich werde jetzt nicht heulen! Nein, nein, nein! Abgelehnt!
Ich greife nach meinem Handy und habe den Daumen schon auf der Kurzwahltaste als einige Meter entfernt eine der Autotüren aufgeht. Wahrscheinlich habe ich das dämlichste Lächeln aller Zeiten im Gesicht, als ich ihn erkenne und eine Welle der Erleichterung und Freude mich überflutet.
Doch als ich endlich vor ihm stehe, ist da trotz aller Anziehungskraft wieder diese Distanz, die ich nicht einordnen kann. Wohl dosierter Abstand? Verlegenheit? Oder einfach nur seine autoritäre Ausstrahlung? Keine Ahnung. Die Umarmung, nach der ich mich so sehr gesehnt hatte, bekomme ich nicht.
Gentlemenlike nimmt er mir die Tasche ab und lädt sie in den Kofferraum, während ich Jacke und Schal auf der Rückbank verstaue, um mich dann bequem auf den vorgewärmten Beifahrersitz zu kuscheln. Ob ihm wohl klar ist, dass es in meinem Fall keineswegs normal ist, einigermaßen entspannt im Auto zu sitzen, wenn es nicht der Platz hinter dem Lenkrad ist?
Die ganze Fahrt über liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Nervosität? Verlegenheit? Unsicherheit vielleicht sogar auf beiden Seiten? Oder bilde ich mir das alles nur ein? Wenn er doch nur etwas sagen würde. Keinen belanglosen Smalltalk, sondern das, was ihn beschäftigt.
Was würde ich darum geben zu wissen, was in seinem Kopf und in seinem Herzen vorgeht! Schwer vorzustellen, dass er sich gerade tatsächlich nur aufs Autofahren konzentriert. Mag ja sein, dass Männer nicht so multitaskingfähig sind wie Frauen, aber zu fahren und gleichzeitig etwas zu denken ist ihnen schon zuzutrauen. Dazu kommt, dass dieses spezielle Exemplar der Gattung „homo sapiens sapiens“ hier neben mir die Bezeichnung „besonders weiser, kluger Mensch“ auf jeden Fall verdient.
Vielleicht sollte man meiner Person das zweite „sapiens“ absprechen, weil ich nicht klug genug bin, öfter mal die Klappe zu halten? Meine verbale Inkontinenz war schon immer ein Problem. Nun ist es die Angst, das gerade Gefundene wieder zu verlieren, die mir hilft, die Zunge im Zaum zu halten.
Wie gern würde ich sagen „Ich hab Dich vermisst“! Aber ich trau mich nicht. Stattdessen sitze ich neben ihm und versuche den Anschein von Coolness zu erwecken. Was, wenn ihm ein solches Bekenntnis schon wieder zu viel wäre? Zu viel Nähe? Zu viel „Parallelbeziehung“!? Und was ist, wenn es ihm nicht ähnlich geht? Dann habe ich mich lächerlich gemacht UND ihn in die Flucht geschlagen.
So vergeht fast eine ganze Stunde.
Als wir schließlich an der Car-Sharing-Station ein paar Straßen von seiner Wohnung entfernt ankommen, habe ich es immer noch nicht geschafft ihm zu sagen, wie sehr er mir gefehlt hat. Und mit jedem Schritt, den wir uns dem schmiedeeisernen Zaun nähern, rückt die Möglichkeit so etwas auszusprechen weiter in die Ferne. Ich wünschte ich könnte ihm durch die Berührung seiner Hand, die zu nehmen er mir gestattet hat solange wir uns außerhalb der Sichtweite des Hauses befinden, all das vermitteln, was ich nicht artikulieren kann und darf.
Als wir die knarrenden, beinahe goldfarbenen Holzstufen zu seinem Domizil erklimmen, bin ich trotz allem entspannter als sonst.
Zum Teil dürfte das auf die neuen Regeln zurückzuführen sein, welche aus dem letzten Telefonat entstanden sind. Diese beinhalten unter anderem, dass wir das Spiel nicht mehr direkt mit dem Betreten der Wohnung beginnen, sondern uns zuerst Zeit nehmen etwas zu trinken und miteinander zu reden.
Kaum ist die Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist Johannes schon in die Küche verschwunden und beginnt mit Geschirr zu klappern.
So sehr es mich freut, dass meine Krise ihn nicht kalt gelassen hat, er meine Sorgen nicht mit einer lapidaren Handbewegung vom Tisch gewischt hat, so sehr beunruhigt mich jedoch auch sein unterdessen fast schon übereifriges Bestreben, alles „richtig“ zu machen. Gleichzeitig fühle ich mich mies. Das habe ich nicht gewollt!
Der Mann, der meine Welt auf den Kopf gestellt hat, wirkt plötzlich wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln.
Es tut mir in der Seele weh, wie er in der vom Besuch am vergangenen Wochenende noch mit schmutzigem Geschirr und leeren Bierdosen zugestellten Küche steht und mir voller Stolz die altbackene Teekanne – noch nicht alt genug um schon wieder retromäßig cool zu sein – und die neu erworbene Tee-Auswahl präsentiert. Immerhin eine der vier Sorten trifft grundsätzlich meinen Geschmack – allerdings normalerweise mit Zucker. Nun ja, der gute Wille zählt. Man soll ja alles positiv sehen: So bleibt Raum für Entwicklung.
Meine beiden Quälgeister liefern sich gerade eines ihrer Gefechte. „Du bist ganz schön verwöhnt! Nimm was Du kriegst und sei zufrieden damit!“ schimpft die kleine Sub auf meiner linken Schulter, während mir von der anderen Seite ein verächtliches „Männer!“ aufs Trommelfell gepflanzt wird. Die kleine Spätachtundsechzigerin auf meiner rechten Schulter stemmt die Hände in die Hüften und schüttelt den Kopf. „Ein Gedächtnis wie ein Walfangnetz!“
Weil Johannes als arbeitswütiger Pseudo-Junggeselle seine Küche fast ausschließlich als Standort für die schicke Kaffee-Maschine, Vorratslager für volle und Sammelstation für leere Nespresso-Kapseln und zum Aufbacken von Tiefkühl-Pizza nutzt, ist die Ausstattung ziemlich dürftig. Einen Wasserkocher gibt es nicht. Dafür einen alten Elektro-Herd und einen Topf. Ich nutze die aus den mittelalterlichen Zuständen resultierende Wartezeit, um mich an ihn zu schmiegen und mir sowohl die längst überfällige Umarmung als auch einen Kuss zu erschleichen. Als ich ein paar Minuten später mit der dampfenden Tasse in der Hand ins Wohnzimmer gehe, beschließe ich, mich auf die Bedeutung der Geste, statt auf den Geschmack des Getränks zu konzentrieren.
Ich mache es mir auf der furchtbar unergonomischen Uralt-Couch so bequem wie möglich und harre der Dinge, die da kommen...
Wenig später - in der einen Hand eine Tasse duftenden Kaffee, in der anderen einen großen Teller - gesellt er sich zu mir ins Wohnzimmer. Er stellt beides auf den Couchtisch und lässt sich männlich-elegant neben mir auf das Sofa fallen. Erstaunt identifiziere ich unser Abendessen als Käsekuchen. Ein ziemlich großer und ziemlich... ähm... kalorienhaltig aussehender Käsekuchen. Amüsiert schaue ich den Mann neben mir an und verkneife mir mit aller Macht ein Grinsen. Der drückt mir ohne groß zu fragen ein Stück von dieser total gesunden und ausgewogenen Mahlzeit in die Hand, lehnt sich anschließend mit seiner eigenen Portion entspannt zurück und legt die Füße auf den Tisch.
Ohne dass es einer von uns beiden aussprechen muss sind wir uns völlig einig darüber, dass Käsekuchen als Abendessen völlig adäquat ist wenn das bedeutet, dass wir das Haus nicht verlassen müssen, um etwas in den Magen zu bekommen. Die wenigen Stunden, die wir alle paar Wochen miteinander haben, sind viel zu kostbar, um sie in Gegenwart anderer Menschen, die für unsere Gesprächsthemen sicher kein Verständnis hätten, zu verbringen.
Nachdem die Kohlehydrat-Aufnahme erledigt ist, können wir uns nun den wirklich wichtigen Dingen widmen.
Mit einem Ächzen schwingt er die Beine vom Tisch seitlich über die Armlehne des Sofas und arrangiert die oberen zwei Drittel seines Körpers so auf dem knautschigen braunen Leder, dass sein Kopf auf meinem Schoß zu liegen kommt. Die schwarzgerandete Brille, die ihn auf so markante Art und Weise noch attraktiver macht, landet auf dem Tisch. Als er so herum ruschelt um die optimale Position zu finden, erinnert er mich ein bisschen an einen Bernhardiner, der sich auf seinem Platz ein paar mal tappend im Kreis dreht, bevor er sich hinlegt um sich dann für die nächsten Stunden nicht mehr zu rühren. Schon wieder lächle ich über ihn. Zum Glück kann er das gerade nicht sehen.
Ich vergrabe meine Hand in seinen Haaren. Sorgsam darauf achtend, immer leichten Druck auszuüben um ein unangenehmes Kitzeln zu vermeiden, lasse ich die weiche, dunkle, leicht gelockte Fülle durch meine Finger gleiten. Für ein paar Minuten stockt die Unterhaltung, während wir beide schweigend genießen. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen ich mein Glück kaum fassen kann. Mit einem Kloß im Hals kraule ich weiter. Meine Finger erreichen die leicht silbrige Stelle an der Schläfe, die seinem Äußeren den letzten Schliff verleiht. Da liegt dieser unglaublich attraktive, anziehende und liebenswerte Mann bei mir auf dem Sofa – völlig ahnungslos, was er mir bedeutet. Und er offenbart mir einen Teil seines Wesens, den sonst kaum jemand zu Gesicht bekommt. Jetzt endlich erteilt mir seine Körpersprache die Erlaubnis, ihn zu berühren.
Ich beginne mich wirklich zu entspannen und gestatte mir, unsere Zweisamkeit zu genießen, ohne ständig seine Mimik und Gestik zu interpretieren.
„Und warum bin ich noch mal ein sadistisches Arschloch?“, fragt er plötzlich mitten in die Ruhe hinein.
WAS???
Oh nein! Bitte nicht! Nicht schon wieder! Ich dachte das wäre erledigt?! Ich will das jetzt nicht noch mal diskutieren. Hätte ich es doch bloß nie erwähnt...
„Ähm... Das habe ich dir doch am Telefon schon gesagt.“
„Ja, aber ich würde es gern genau wissen“, beharrt er und mir ist klar, dass er wie üblich keine Ruhe geben wird, bevor er seine Antwort hat. Verdammt! Das kann doch nur darauf hinaus laufen, dass er das Gefühl hat, dass ich nur an ihm rummeckere und ihn ändern will. Mag ja sein, dass wir uns noch nicht sooooooo lange kennen, aber selbst nach dieser relativ kurzen Zeit ist mir sonnenklar, dass das nicht funktionieren würde. Selbst wenn er gewillt wäre, sich zu ändern – was eher nicht der Fall sein wird – dafür ist es einfach zu spät.
Ich komme mir ziemlich dämlich vor als ich beginne, ihm, meinem Herrn, noch einmal sämtliche größere und kleinere Faktoren genau dar zu legen, die in ihrer Gesamtheit zu dieser verletzenden Aussage geführt haben.
Ich hasse es!
Alles in mir sträubt sich dagegen, ihn zurecht zu weisen. An ihm herum zu mäkeln und zu kritteln ist das Allerletzte, was ich will. Es fühlt sich einfach nur falsch an. Ich will keine von diesen anstrengenden, zickigen Freundinnen sein, die einen Mann nicht sein lassen, was er nun mal ist.
Und vor allem möchte ich keine „Wunschzettel-Sub“ sein! Will kein Exemplar dieser ganz besondere Spezies sein, die sich dadurch auszeichnet, dass sie BDSM als reines Spiel und den dominanten Part als Wunscherfüller betrachten.
Mir ist völlig klar, dass wir beide – nicht nur er! – Grenzen setzen und Bedürfnisse formulieren sollten. Nur fällt mir das so furchtbar schwer. Nicht nur, dass aufgrund meiner Lebenssituation bereits der größte Teil der finanziellen Last unseres „Spieles“ auf seinen Schultern liegt. Es ist sehr wohl zu spüren, dass er sich Gedanken darum macht, was er wie und wann mit mir machen kann; warum ich wie auf bestimmte Dinge reagiere und woran wir gemeinsam arbeiten müssen und wollen, wenn wir der Erfüllung unserer Träume nahe kommen wollen. Wenn ich ihm nun solche eigentlich belanglosen Kleinigkeiten wie das Nichtvorhandensein eines Getränks oder nicht stattgefundene Anrufe vorwerfe, empfinde ich das als undankbar und kleinlich. Was kann er denn dafür, dass ich kein pures Wasser trinken mag wie jeder andere normale Mensch? Und wer bin ich, dass ich von einem Mann, der nicht mein Ehemann ist, verlange, sich nach einem zwölf-Stunden-Arbeitstag noch am Telefon mit meinen Problemchen auseinander zu setzen?
Andererseits...
Kompromisse gehe ich in meinem Alltag mehr als genug ein. Sie sind ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden, alltagstauglichen und beständigen Ehe.
Aber ich war nicht auf der Suche nach einem Lebensgefährten. Den habe ich schon. Sondern ich habe einen Mann gesucht, mit dem ich meine „dunklen“ Fantasien verwirklichen kann. Jemanden, der die Ausstrahlung und sowohl die körperliche als auch die geistige Kraft hat, mich zu unterwerfen. Jemanden, mit dem ich meine Lust ausleben kann. Dies ist der Zweck meiner Verbindung mit Johannes.
Warum also Kompromisse eingehen? Die Reaktionen im Internet lassen darauf schließen, dass mein Marktwert deutlich höher ist, als ich in meinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hätte. Wenn ich zu erkennen geben würde, dass ich wieder herrenlos wäre, hätte ich tatsächlich eine beträchtliche Auswahl an Interessenten zur Verfügung.
Ach, das klingt alles so logisch und so einfach...
Wenn es doch nur so wäre. Sich all diese Dinge in dem Moment bewusst zu machen, wo man schon beim Klang seiner Stimme zerfließt und lediglich seine Präsenz im Raum dafür sorgt, dass man zumindest gedanklich auf die Knie geht und den Kopf senkt, ist jedoch eine enorme Herausforderung.
Was mich hauptsächlich darin bestätigt, mir den richtigen Mann für meine Wünsche gesucht zu haben.
Also besinne ich mich meines Rückrats und kämpfe mich noch einmal durch den Sumpf der Zweifel.
Das Gute an seiner Beharrlichkeit ist, dass wir mit der Zeit zum Kern der Problematik vordringen:
Mit der Frage nach der Definition von Strafe während des „Spiels“ kommt zum ersten Mal so richtig die Frage nach der Natur unserer Liaison auf den Tisch. Es wird deutlich, dass wir, abgesehen von nicht genau zu identifizierenden Emotionen, uns noch nicht mal in der Theorie komplett einig darüber sind, welcher Art unsere Dom-Sub-Beziehung nun eigentlich ist. Ein Thema, dass im Lauf der folgenden Monate immer wieder zur Sprache kommen wird.
Es stellt sich heraus, dass wir völlig unterschiedliche Auffassungen davon haben, welche Rolle Bestrafungen für uns beide spielen. Und damit ist auch geklärt, warum er dachte, ich hätte die Rohrstock-Schläge auf die Brust genossen, während ich sie als Bestrafung gesehen und als solche angenommen habe.
Johannes ist der Meinung, dass es für uns beide doch schließlich um die Lust an der Sache geht. Er möchte mich zwar in seinem Sinne formen, aber zu unser beider Vergnügen und möglichst ohne Strafen. Und ich? Ich versuche ihm klar zu machen, dass meine Lust in der Unterwerfung besteht. Dass Strafen für mich ein Mittel zur Erziehung sind und definitiv nicht genossen werden sollen. Wo wäre denn da der Sinn? Ich möchte kein Rollenspiel mit unartigem Schulmädchen und geilem Lehrer spielen, in dem dieser ihr zum Spaß ein bisschen den Hintern versohlt.
Ich möchte dienen.
Johannes schaut mich für eine ganze Weile einfach nur wortlos an. Es scheint, als ob ihm gerade eben erst ansatzweise aufgegangen wäre, in welchem Paralleluniversum wir uns bewegen. Oder besser gesagt, in welchem ich mich gern bewegen möchte. Dass das, was wir tun, für mich kein Spiel ist.
Ganz offensichtlich hat er an dieser Erkenntnis erstmal zu knabbern.
„Was hältst Du davon, wenn Du mir in Zukunft sagst, wann die Strafe beginnt und wann sie aufhört?“, frage ich, nachdem ich mich nach all diesen Überlegungen endlich zu einer Antwort durchgerungen habe. „Wenn Du vorher ankündigst was Du vor hast, läufst Du weniger Gefahr, versehentlich die Kontrolle zu verlieren. Und ich wüsste, woran ich bin.“
„Wie meinst Du das?“ Johannes runzelt die Brauen und schaut mich verwirrt an – womit das Vorhandensein besagten Paralleluniversums geradezu überdeutlich sichtbar wird.
„Naja...“ Schon wieder fühlt es sich kindisch an, ihm die Wahrheit zu sagen. „Du kannst manchmal wirklich gruselig sein! Und dann kann ich nicht mehr richtig unterscheiden, ob Du nun wirklich böse auf mich bist oder nicht.“
Jetzt liegt Entsetzen auf seinem Gesicht. „Ist das Dein Ernst?“, will er wissen.
Natürlich ist es das.
Oder?
Nun bin ich diejenige, die verunsichert ist. Die Art und Weise wie er mich ansieht erschüttert mein mühsam zusammengekratztes Selbstvertrauen gewaltig. Er wirkt irgendwie verletzt. Ein bisschen traurig. Und merkwürdigerweise gleichzeitig leicht amüsiert.
Ich gerate ins Schwanken. Liege ich denn so falsch?
Dennoch stehe ich zu dem, was ich sagte.
„Ja.“
„Wie kommst Du denn darauf? Warum sollte ich böse auf Dich sein?“, fragt er nach einem tiefen Atemzug entgeistert.
Er will Beispiele? Na toll. Was soll ich jetzt sagen? Ich dachte wir hätten das am Telefon zur Genüge durchgekaut. Auf das hier bin ich nicht vorbereitet. Denk, Katharina, denk... Wann war er so gruselig?
„Ähm... also...“, stammele ich, „Am schlimmsten war es, wenn Du dachtest, dass ich Dir etwas vorzuschreiben versuche. Deine Augen sind dann fast schwarz und Deine Stimme klingt dann auf einmal ganz anders. Das ist echt unheimlich.“
Gott, ist das peinlich! Habe ich diesem Mann gerade gesagt dass er es geschafft hat, mir Angst zu machen? Jetzt hätte ich gern so ein tragbares blaues Loch wie in der o.b.-Werbung – wenn es zu peinlich wird, einfach das Teil aus der Tasche ziehen, auffalten und rein springen. In Ermangelung solch einer fantastischen Erfindung wende ich mich ab und schaue an seinem ausgestreckten Körper entlang in Richtung Gürtelschnalle.
Plötzlich kommt Bewegung in ihn. Er richtet sich auf, streckt seine Arme nach mir aus und nimmt mein Gesicht sanft in seine großen Hände. „Schau mich an!“, fordert er leise.
Unfähig ihm zu widerstehen begegne ich seinem fassungslosen Blick. Es scheint, als ob er etwas sagen will. Ich kann förmlich sehen, wie es in ihm arbeitet. Er öffnet den Mund, wie um zu sprechen, dann schließt er ihn wieder.
Für die Dauer einiger Augenblicke passiert nichts – und gleichzeitig alles auf einmal.
Ich weiß nicht, was meine Augen ihm sagen. Ich weiß nur, dass alles gut ist. Es fühlt sich an, als ob er mir alles, was auszusprechen er nicht fähig ist, durch seine Augen und seine Berührung mitteilt. Dann hört er auf mit den Daumen über meine Wangenknochen zu streichen, löst seine Hände, schiebt sie weiter nach hinten in meine Haare und lässt sie dann hinunter zu meinem Rücken gleiten. Dabei rücken wir ein Stück zusammen und dann umschließt er mich mit seinen starken Armen. Ganz fest drückt er mich an sich. Unwillkürlich entrinnt mir ein Seufzen, als ich meine Nase an seiner Schulter vergrabe und am liebsten in ihn hinein kriechen würde.
Da ist keine Wut mehr. Keine Zweifel, keine Ängste, keine Unsicherheit. Es ist ein Moment der Erlösung und des reinen Glücks.
Den Rest des Abends verbringen wir in aller Unschuld bei einem ruhigen Gespräch und Kuscheln auf dem Sofa. Wir reden über Gott und die Welt.
Der Abend wird zur Mitternacht und Jo ist kaum noch in der Lage, seine Augen offen zu halten. Normalerweise würde er wohl schon lange schlafen. Mühsam beginnen wir unsere Knochen zu sortieren, um uns von der orthopädisch hochgradig bedenklichen Couch zu erheben. Die notwendigen Erledigungen im Bad fallen sehr kurz aus, so dass wir uns schon wenige Minuten später im Bett wieder treffen.
Ich bin total entspannt und habe daher Grund zu der Hoffnung, heute trotz seiner Anwesenheit ohne größere Verzögerungen einschlafen zu können. Für ihn ist das ja nie ein Problem. Er könnte wohl jederzeit schlafen. Das Komische ist, dass das für mich normalerweise auch gilt – zumindest seit ich Mutter bin. Aber in seiner Gegenwart ist nichts so wie sonst. Sie treibt meinen Puls in die Höhe. Dazu kommt, dass ich seine Berührung, nach der ich mich sowieso immer sehne, beim Einschlafen schmerzlich vermisse. Auch wenn ich es gewohnt bin, eng zusammengekuschelt in Löffelchen-Stellung die Nacht zu beginnen, so würde mir seine Hand irgendwo auf mir schon reichen. Einfach nur berührt werden. Wissen, dass alles gut ist. Seine Anwesenheit spüren. Aber das war von Anfang an ein No-Go. Die Frage, ob er generell so viel Freiraum zum Schlafen braucht, oder ob das nur einer der Versuche ist, die Distanz zwischen uns zu wahren, konnte ich für mich bis jetzt noch nicht beantworten.
Für den Moment scheint er mich aber noch bei sich haben zu wollen, denn er liegt auf dem Rücken und hat seinen Arm einladend ausgestreckt – die ultimative Aufforderung zum Ankuscheln. Und ich komme ihr nur zu gern nach.
„Bist Du bald mal fertig mit Herumwetzen?“, fragt er ungeduldig, jedoch mit amüsiertem Unterton, als ich einen Moment brauche, bis ich die optimale Lage gefunden habe. „Wieso, hast Du es eilig, mein Herr?“, entgegne ich frech und ernte dafür prompt ein Lachen und einen leichten Klaps auf den Oberarm. Bis zum Po runter kommt er in dieser herrlich kuscheligen Anordnung unserer Körper nicht. Eigentlich schade...
„Nein. Aber ich wollte Dir noch erzählen, was Dich morgen erwartet.“
Oh Schande. Soviel zum Thema ruhig schlafen...
Offensichtlich hat er sich schon darauf gefreut, mir den Plan für morgen zu präsentieren, denn er wartet gar nicht erst auf eine Reaktion.
„Morgen früh wirst Du mich zuerst unterhalten, während ich frühstücke. Du wirst mir brav deine Titten präsentieren, während ich meinen Kaffee trinke. Und danach werden wir deine Entscheidungsfreudigkeit auf die Probe stellen.“
Er drückt mich noch einmal fest an sich, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und dann entzieht er mir seinen Arm und begibt sich in seine übliche Schlafposition, deren kindliche Unschuld mir jedes Mal wieder nahe geht. Er wirkt so unglaublich jung und verletzlich, wenn er so da liegt und man förmlich sehen kann, wie er ins Land der Träume hinüber gleitet...
„Gute Nacht, Subbie“, murmelt er noch, „schlaf gut“.
„Du auch.“ Ein letztes Mal streiche ich ihm durch das Haar und platziere einen sanften Kuss auf die zarte Stelle wo der Augenwinkel in kleinen Fältchen in die Schläfe übergeht, bevor ich mich auf die mir zugewiesene Seite des Bettes zurück ziehe.
Hm...
Abgesehen davon, dass es mich bei ,Titten’ innerlich schüttelt, klingt das ja erstmal gar nicht sooo schlimm. Im Gegensatz zu meinem Mann und meinem Schwiegervater, die beide dazu neigen, die Dinge tausendmal hin und her zu wälzen, bevor sie eine Entscheidung treffen, bin ich vergleichsweise recht gut darin, meinem Bauchgefühl zu folgen. Aber irgendetwas sagt mir, dass das, was er morgen mit mir vor hat, nicht die Art von Entscheidung beinhaltet, wie beispielsweise die Wahl eines Restaurants sie erfordern würde. Die offensichtliche Vorfreude, die in seinen Worten mit schwingt, gibt mir zu denken. Oder viel mehr: Sie macht mich – vermutlich genau seinen Erwartungen entsprechend – ziemlich nervös. Diesen Unterton in seiner Stimme kenne ich. Und er sagt mir, dass ich diese Herausforderung wohl eher nicht so angenehm finden werde.
Prima. Damit hat mein Herr erreicht was er wollte: Meine entspannte Ruhe ist einem ungewissen Kribbeln gewichen. Ich spüre es im Magen – und zwischen den Beinen. Ganz toll! Nicht nur, dass mein Körper mich verrät. Jetzt ist auch an ein leichtes Einschlafen nicht mehr zu denken. Und die Maßnahme, die dieses Problem lösen würde, ist mir schon seit ein paar Monaten dauerhaft verwehrt.
Also muss wohl mal wieder mein kleiner rosa Freund – mein mp3-Player – den Lückenbüßer spielen... Dummerweise ist der aber noch in meiner Tasche. Grummelnd schlage ich die Bettdecke zurück und hieve die Beine über den Rand der Matratze. Gerade als ich mich erheben will, kommt es in strengem Ton von der anderen Seite des Bettes: „Wo wollen wir denn hin, Subbie?“
Oh, sind wir etwa plötzlich im D/s-Modus? Sollte seine Ankündigung gleichzeitig der „Startschuss“ sein?
„Meinen mp3-Player holen, mein Herr“, erwidere ich etwas verunsichert.
„Und habe ich Dir das erlaubt, Subbie?“
Äh... Meint er das jetzt ernst?
„Nein, mein Herr.“
„Und wie kommst Du dann darauf, einfach aufzustehen?“
Ich zögere, schwanke zwischen Gehorsam und theoretisch berechtigtem Trotz.
„Bitte entschuldige, mein Herr! Ich trage mein Halsband nicht...“
Der Satz verklingt im Raum.
Die kleine Sub auf meiner linken Schulter, die sich schon vor Stunden zur Ruhe gelegt hatte, hebt alarmiert den Kopf, während die Spätachtundsechzigerin auf der anderen Seite ihre Origami-Arbeit in den Schoß sinken lässt und sich für eine eventuell bevorstehende Debatte bereit macht.
Ich kann förmlich sehen, wie auch in Johannes die beiden Seiten miteinander kämpfen.
Wir haben gelernt, dass wir uns bei aller Lust die Zeit nehmen müssen, auf gleicher Ebene miteinander zu reden. Das heißt, dass wir ein Zeichen brauchen, welches den Beginn des „Spiels“ markiert. Und wir hatten uns ganz schnell darauf geeinigt, dass das Anlegen des Halsbandes dafür sehr gut geeignet ist.
Das Problem bei der Sache: Genau genommen ist das nicht das, was wir beide wollen. Ich noch weniger als Jo.
Im Gegensatz zu diversen großen Hunden die man ab und zu im Park trifft, will ich nicht nur spielen...
Zu müde um sich jetzt noch intensiver mit dieser Problematik auseinander zu setzen, lässt er das Thema nach einem letzten strengen Blick für heute fallen und legt mit einem leicht frustrierten „Darüber reden wir morgen noch einmal!“ den Kopf wieder auf das Kissen.
Während ich überlege, ob mir in Sachen Hörbuch gerade mehr nach Edward Cullen oder Jamie Fraser zumute ist – beides wunderbar dominante Typen – tappe ich in den Flur und hole das kleine, flache Gerät. Wieder im Bett und die Stöpsel in den Ohren, fällt die Wahl letztlich auf Harry Potter. Der ist zwar inhaltlich gerade nicht so passend, dafür kenne ich das Buch in- und auswendig und die tiefe, ruhige Stimme Felix von Manteuffels passt perfekt zu meinem momentanen Bedürfnis. In dem aus der Erfahrung geborenen sicheren Wissen, dass der Schlaf nun nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, schließe ich die Augen.
Der heraufdringende Schein der Straßenlaterne ist gerade hell genug, um das dip-dip-Geräusch als Regen an der Fensterscheibe zu identifizieren, als ich aufwache. Ein Blick auf das Display meines Handys, das wie immer neben mir auf dem Nachttisch liegt, bestätigt meine Befürchtung: kurz nach sechs Uhr an einem Samstagmorgen. Wenn ich ihn jetzt aufwecke, ist die schlechte Laune seinerseits so sicher wie das Amen in der Kirche. Also bekommt der mp3-player wieder etwas zu tun und ich drehe mich mit dem festen Vorsatz meinen Herrn nicht zu verärgern, noch einmal um.
Dann wieder: dip, dip, dip... Mist! Ich muss pinkeln! Und zwar dringend. Selbst ohne den Regen hätte ich keine Chance mehr, ruhig liegen zu bleiben. Ein erneuter Blick auf das Handy – kurz vor acht. Ein Blick auf die andere Seite – mein Herr schläft noch. Vielleicht lieber doch noch liegen bleiben? ... Nein. Definitiv Zeit, einen auf Indianer zu machen. So leise wie irgendwie möglich krabble ich aus dem Bett und schleiche durch das Zimmer und den Flur in Richtung Bad. Der Fußboden knarrt und die Badtür quietscht, als ich sie schließe... Nach der Toilette eine kurze morgengeruchsvermeidende Waschaktion und ich verfluche den alten Boiler an der Wand, als der knallend anspringt. Diese Wohnung ist ja an sich ganz schön – aber sie lässt einem absolut keine Chance, irgendetwas geräuschlos zu tun.
Leise begebe ich mich zurück ins Schlafzimmer, in der Hoffnung, mich unauffällig wieder ins Bett schleichen und ihm beim Aufwachen zuschauen zu können.
„Guten Morgen, Subbie!“
Mein Herr sitzt im Bett, den Rücken an die Wand am Kopfende gelehnt und sieht, obwohl noch etwas verschlafen, ziemlich entschlossen aus.
„Manschetten und Halsband holen“, befiehlt er knapp, noch bevor ich etwas sagen oder tun kann. Umdrehen, zum Koffer eilen und die gewünschten Teile aus dem Stoffsack kramen, in dem ich meine Ausrüstungsgegenstände aufbewahre, ist eine Sache von Sekunden. In Rekordzeit bin ich wieder zurück und knie mich neben seine Seite des Bettes, die geforderten Ledersachen auf den offenen Handflächen präsentierend.
„Anlegen! Und zwar schnell!“
Heilige Scheiße! Diese Stimme... Er spricht ruhig und leise, aber bestimmt. Sein Ton duldet absolut keinen Widerspruch. Als ob mir danach zumute wäre... Augenblicklich spüre ich die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen. Pawlow hätte seine Freude an mir gehabt.
So schnell wie möglich komme ich seinem Befehl nach. Die Handgelenksmanschetten stellen kein Problem mehr dar und sind, auch wenn die rechte wegen der Befestigung mit der linken Hand ein kleines bisschen schwieriger ist, schnell angelegt. Um die breiten, schwarzen, mit weichem roten Leder gefütterten Manschetten für die Fußknöchel zu schließen, brauche ich ein kleines bisschen länger. Prompt wird diese Verzögerung mit einem ungeduldigen Schnauben quittiert. Sieht aus, als ob es heute schwer werden wird, meinen Herrn zufrieden zu stellen.
Als nächstes ist das Halsband an der Reihe.
Der Anflug von Traurigkeit, der sich in den letzten zwei Minuten irgendwo ganz tief in mir drin bemerkbar gemacht hat, wird in dem Moment, in dem ich mir selbst das glatte Leder um den Hals lege und festschnalle, fast zu einer Träne.
Es scheint, als ob meinem Herrn nicht bewusst ist, welche Bedeutung das Anlegen der Fesseln für mich hat. Wie wichtig dieser Moment für mich ist. An Armen und Beinen komme ich noch damit klar, das selbst zu tun. Auch wenn ich den festen Griff seiner großen, warmen Hände an meinen Handgelenken liebe. Aber das Halsband ist mir sehr, sehr wichtig. Es ist nicht einfach ein simples Stück Leder. Nicht einfach nur ein notwendiges Utensil. Oder gar ein schnödes Schmuckstück. Es ist ein Statussymbol. Es kennzeichnet mich als das Eigentum meines Herrn und macht mir dies permanent bewusst. Der Moment, in dem ER die Schnalle in meinem Nacken schließt, ist etwas Besonderes für mich. Dies nun selbst zu tun, empfinde ich schon fast als Sakrileg. Und gleichzeitig vermittelt es mir den Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben. Indem er mir diese Form der sehr persönlichen Zuwendung verwehrt, vermittelt er mir das Gefühl, bestraft zu werden.
Mit ordnungsgemäß angelegter Grundausstattung knie ich mich wieder neben sein Bett. Knie auseinander, Rücken gerade, Kopf gesenkt, die Hände auf den Oberschenkeln. Die Schmerzen sind sofort da, sind mir aber momentan willkommen. Wenn ihm gefällt was er sieht, ist es das allemal wert.
Eine gefühlte Ewigkeit lang – in Wirklichkeit wahrscheinlich gerade mal eine Minute – passiert gar nichts. Dann steht er wortlos auf und geht zum Schrank hinter mir. Ein dumpfes Geräusch verrät mir, dass er den Koffer mit seinem „Handwerkszeug“ heraus geholt hat. Dann der Reißverschluss. Ich höre meinen Herrn kramen und mein Puls steigt. Was wird er heraus holen? Was hat er vor?
Sanft aber bestimmt greift mein Herr nach meinen Armen, holt sie nach hinten und befestigt etwas an den Manschetten. Dann ein leichter Klaps auf den Po der mir signalisiert, dass ich eben diesen etwas anheben soll. Die Beinmanschetten werden ein bisschen gedreht und nun spüre ich den Zug an den Handgelenken, als Johannes meine Arme und Beine miteinander verbindet. Jetzt ist mir auch klar, was er aus dem Koffer geholt hat: die Kreuzfessel. Die schwarzen Lederbänder sind über Kreuz gearbeitet und in der Mitte durch einen Metallring miteinander verbunden. Am Ende eines jeden Lederbandes befindet sich ein Karabiner, der in die D-Ringe der Hand- und Fußfesseln eingehakt wird. Auf diese Art und Weise habe ich zwar einen minimalen Bewegungsspielraum, jedoch keine Chance, aufzustehen oder auszuweichen.
Obwohl der Po sich unterdessen wieder auf den Fersen befindet, stehen die Muskeln in meinen Oberschenkeln und meinem Bauch in dieser Position ständig unter Spannung, weil mein Geist das Knien zwar als völlig natürlich empfindet – mein Körper bedauerlicherweise jedoch nicht. Normalerweise gelingt es mir das Gewicht so von den kaputten Gelenken weg zu verlagern, dass ich diese Grundhaltung zumindest eine kleine Weile ertragen kann, um mich der Bezeichnung Sub würdig zu fühlen zu können. Das nun an meinen Hand- und Fußgelenken befestigte lederne Kreuz lässt das nicht zu. Es mag zwar unscheinbar aussehen, hat aber eine große Wirkung. Das Knien wird zur Tortur - und der Rücken wird in ein Hohlkreuz gezwungen, was meinen Busen gefährlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt.
Dann taucht kurz etwas Pinkfarbenes in meinem Sichtfeld auf, bevor es dunkel wird. Mein Herr hat mir eine weiche Augenbinde angelegt. Hm... Warum, in Gottes Namen, kauft ein dominanter Hetero-Mann eine PINKE Augenbinde??? Ich muss zwar gestehen, dass dieses Teil vom Komfort her das angenehmste ist, das zu tragen ich bisher das Vergnügen hatte, aber der Gedanke an die Optik stört mich schon. Ich möchte so schön wie möglich sein für ihn. Mit DER Farbe meine Röllchen zu betonen und damit den Gedanken an Miss Piggy ins Spiel zu bringen, scheint mir dabei nicht unbedingt hilfreich zu sein...
„Weil ich nett bin bekommst Du jetzt noch ein bisschen Ablenkung, damit Du nicht so viel an Deine Knie denkst“, kommentiert mein Herr verdächtig liebenswürdig, während ein sachtes, metallisches Klirren mich Böses ahnen lässt. Und richtig. Mit schnellen Handgriffen verziert er meine zwangsexponierten Nippel mit ein paar Klemmen. Es sind nicht die ganz bösen, grillzangenähnlichen Exemplare, sondern die kleineren, die auch abgehen, wenn man entsprechenden Zug ausübt. Die tun bei Weitem nicht so weh, beschäftigen mich aber trotzdem lange genug, dass ich erst merke, dass er das Zimmer verlassen haben muss, als mir Kaffeeduft in die Nase steigt.
Ein Ächzen, dann das Rascheln des Bettzeugs, dann Ruhe. Ich warte darauf, dass er seine Tasse auf dem Nachttisch abstellt und nach dem iPad greift, um in der virtuellen Zeitung zu blättern. Nichts.
Außer den Geräuschen der Autos und der nahegelegenen oberirdischen U-Bahn ist erstmal nichts zu hören. Wie zum Trotz gesellt sich just in diesem Augenblick eine Etage tiefer das nervtötende Dröhnen eines Staubsaugers dazu. Es ist fast schon lächerlich. Manchmal fragt man sich wirklich, ob die nach außen so spießig-perfekten Nachbarn hier vielleicht doch irgendwo eine Kamera installiert haben...
Ich weiß nicht, wie viele Minuten so vergehen. Meine Nippel haben sich längst an die unkonventionelle Dekoration gewöhnt und lassen daher wieder die volle Konzentration auf die Unbequemlichkeit meiner Lage zu. Meine Knie protestieren – genau wie der nervige kleine Geist auf meiner rechten Schulter. Die Mini-Emanze wandert ungeduldig auf und ab und wedelt voller Überzeugung mit einem „Dagegen!“-Demo-Schild a la Uli Stein.
Wieder einmal stellt er sein bewundernswertes timing unter Beweis, als er mich völlig unvermittelt anspricht.
„Du, Subbie, ich habe mir etwas überlegt.“
Ach ja? Da wäre ich ja angesichts der langen Stille gaaaaaar nicht drauf gekommen... Da mein Herr mir aber keine direkte Frage gestellt hat, bleibt der Kommentar unausgesprochen. Eingedenk der Tatsache, dass ich, sehr zu meinem Leidwesen, noch nie wirklich in der Lage war, meine Gedanken und Gefühle zu verbergen, kontrolliere ich jedoch schleunigst, ob sich da nicht etwa ein leises, ironisches Lächeln auf meine Lippen geschlichen hat. Mist! Ob er das gesehen hat? Wenn ja, dann folgt die Retourkutsche wahrscheinlich später. Zu gern hätte ich ihn gefragt, ob ihn der morgendliche Denksport sehr entkräftet hat. In Anbetracht meiner Position und der gestern Abend angekündigten Aufgabe scheint es mir allerdings nicht ratsam, irgendwelche zynisch-rebellischen Bemerkungen zu machen.
Wieder raschelt es kurz, dann ist plötzlich die Augenbinde weg. Ganz offensichtlich ist mir mal wieder jegliches Zeitgefühl verloren gegangen, denn das Schlafzimmer ist erfüllt von Sonnenlicht, das mich blendet. Nun entfernt Johannes die Fessel, die meine Hände mit den Füßen verbindet. Die Nippelklemmen bleiben an ihrem Platz. Dafür bin ich im Moment eher dankbar, weil der mittlerweile nur noch leichte Schmerz, den sie verursachen, absolut nicht störend ist und völlig harmlos im Vergleich zu dem was mich erwartet, wenn sie wieder gelöst werden.
„Du darfst Dich seitlich setzen.“
Halleluja! Dankbar nehme ich die Erlaubnis zur Kenntnis. Allerdings dauert es wie immer eine Weile, bis ich mich auch nur einen Millimeter bewegen kann. Johannes kennt das schon. Er geht in die Küche und ich höre ihn rumoren, während ich ganz vorsichtig meine Arme und Beine bewege und wie üblich mit dem höllischen Schmerz kämpfe, der das „Aufwachen“ meiner eingeschlafenen Gliedmaßen begleitet.
Allmählich gewöhnen sich auch meine Augen wieder an die Helligkeit. Als ich meinen Blick auf das Fenster richte wird mir klar, dass es nicht nur die gemeinhin bekannte Post-Deprivations-Überlastung der Sehnerven war, die mir das Öffnen der Lider erschwert hatte. Irgendwann im Lauf der letzten – ein Blick auf das neben dem Bett liegende Handy – vierzig Minuten (!) hatte es aufgehört zu regnen. Durch einen Riss in der ansonsten noch immer dichten Wolkendecke strahlt die Sonne wie auf einem Gemälde der alten Meister und bricht sich tausendfach in den Tropfen an der Scheibe. Wunderschön und gleißend hell.
Ich habe mich gerade wieder gesammelt und in meine bequeme Grundposition – am Boden sitzend, die Beine angewinkelt vor und links neben mir, Rücken gerade, die Unterarme leicht auf den Oberschenkeln abgelegt und die Hände locker im Schoß ineinander gelegt – begeben, als Johannes, eine Tasse Tee in der einen und einen Teller mit dem restlichen Käsekuchen von gestern abend in der anderen Hand, wieder das Zimmer betritt. Nur eine Gabel. Hmm...
„Alles ok, Subbie?“ Er stellt Tee und Kuchen ab und macht es sich wieder auf dem Bett gemütlich.
„Ja, mein Herr.“
„Wie geht es den Knien?“, fragt er besorgt. „Das war jetzt ziemlich lange. Aber Du hast so gelöst ausgesehen...“
„Sie tun weh, mein Herr, aber nicht mehr als sonst auch“, erwidere ich und bin ebenso erstaunt wie er. „Irgendwann spürt man einfach nichts mehr. Weder in den Beinen, noch hier“, sage ich und lege eine Hand dahin, wo unter dem Fettpolster meine Bauchmuskeln versteckt sind. „So in der Art stelle ich mir das vor, wenn Shaolin-Mönche in irgendwelchen abstrusen Positionen meditieren. Die Befreiung des Geistes durch die Überwindung des Körperlichen“, grummle ich und Johannes lacht. Gott, wie ich dieses Lachen liebe...
„Komm ein bisschen näher zu mir“, fordert er mich auf. Folgsam rutsche ich nun so nah an das Bett heran, dass er mich mit dem ausgestreckten Arm erreichen kann. Er spielt kurz mit der Kette, welche die Klammern an meinem Busen verbindet und als ich daraufhin scharf Luft hole, macht er ein pseudo-mitleidiges Geräusch und streichelt mir kurz über den Kopf. Dann drückt er mir mit einem „Lass uns frühstücken!“ die Teetasse in die kalten Hände und beginnt, den Käsekuchen zu verspeisen. Eine zweite Gabel ist nicht nötig, weil er mich, obwohl meine Hände nicht mehr gefesselt sind, liebevoll füttert.
Als der Teller leer ist und er ihn beiseite stellt, bin ich nicht wirklich satt, aber auch nicht mehr hungrig.
Während ich schluckweise meinen herrlich heißen, wenn auch leider ungesüßten, Tee trinke, erläutert er mir seine Überlegungen von vorhin:
„Ich denke, wir sollten noch eine Regeländerung vornehmen, meine Kleine.“
Hm, interessant... Was jetzt wohl kommt?
„Ich möchte, dass Du mich in Zukunft nicht mehr mit ,Herr’ und ,Sie’ ansprichst, sondern mit ,Herr’ und ,Du’.“
Stille.
„Schau mich an!“, fordert er sanft. „Was denkst Du?“
Ich hebe meinen Blick von der Tasse, in die ich gestarrt habe, zu ihm.
„Ich weiß es nicht, mein Herr.“
Wieder Stille.
„Mein Herr, darf ich fragen, warum?“ Irrationale Freude und Hoffnung wallt in mir auf, aber ich kämpfe sie mit aller Gewalt nieder. Diese Gefühle zuzulassen würde bedeuten, unsere mühsam aufgebaute menage a ... – Scheiße, was heißt nochmal ,vier’ auf französisch? – zu zerstören.
„Naja... Ich habe gemerkt, dass Dir das ,Sie’ sehr schwer fällt. Wenn ich Dich für jedes Mal, das Du die korrekte Anrede vergessen hast, bestrafen würde...“, lässt er den Rest des Satzes in der Luft hängen, um in sachlichem Ton fortzufahren. „Mir ist das nicht so wichtig. Und was andere machen ist mir eh egal. Ich möchte Dich nicht ständig bestrafen. Also bleibt es bei dem ,Herr’, aber mit ,Du’. Einverstanden?“
Wow! Für ihn ist das ja ein richtiger Redeschwall!
Dankbar für die Möglichkeit, mich kurzzeitig verstecken zu können, hebe ich meine Tasse an die Lippen und trinke langsamer als nötig. Ich bin gleichzeitig enttäuscht und erleichtert. Über die Gründe für beides denke ich lieber nicht zu intensiv nach. Außerdem sollte ich meinen Herrn nicht zu lange auf eine Antwort warten lassen...
Als ich mein Gesicht wieder einigermaßen unter Kontrolle zu haben glaube, stelle ich mich seinem undefinierbaren Blick.
„Das ist sehr rücksichtsvoll, mein Herr“, bringe ich schließlich mehr krächzend als alles andere einen halbwegs vernünftigen Satz zustande. „Danke.“
Ein bisschen unangenehm ist die darauf folgende Stille schon. Johannes geht in die Küche und kommt mit einem frischen Kaffee wieder. Hmmmm... Wenn das Zeug doch nur so gut schmecken würde, wie es duftet... Beide leeren wir langsam unsere Tassen und hängen jeder für sich unseren Gedanken nach.
Als er schließlich ausgetrunken und der Geschirr-Sammlung neben seinem Bett ein weiteres Teil hinzu gefügt hat, greift er nach der dünnen Schnur die dort liegt, seit er mir gestern kurz vor dem Einschlafen erklärt hat, dass er heute meine Entscheidungsfreudigkeit auf die Probe stellen will.
„Bereit, Subbie?“
Heilige Scheiße. Ja. Und wie.
Diese schlagartigen Stimmungsumschwünge sind unbeschreiblich. Von einer Sekunde auf die andere scheint sich der ganze Mann und mit ihm die Atmosphäre im Raum zu verändern. Der Ausdruck in den Augen, die Lage und Farbe der Stimme, die Körperhaltung... Dafür fehlen einem schlicht die Worte. Es ist nicht direkt eine Verwandlung. Man kann auch nicht sagen, dass er sich verstellen würde. Am ehesten vergleichbar ist dieser Vorgang vielleicht mit dem Wechsel der Aggregatzustände, beispielsweise von Wasser. Die Zusammensetzung des Stoffes an sich bleibt die Selbe – nur die Form ändert sich. In diesem Fall am ehesten von flüssig zu fest.
Und mit der selben Geschwindigkeit, mit der sich seine Ausstrahlung „verfestigt“, verflüssigt sich etwas bei mir...
Peinlicherweise muss er mich noch nicht mal berühren, um das zu wissen. „Sag mal, Subbie, kann es sein, dass Du schon wieder geil bist?“, kommt es prompt von ihm. Aaahhh... Meine spießig-bildungsbürgertümlichen Moral-Sensoren geben kreischend Alarm! Schlimm genug, dass mein verräterischer Körper so reagiert. Noch schlimmer, dass der Mann das sofort merkt. Die Sache mit dem „dirty talking“ setzt dem Ganzen allerdings die Krone auf. Ich winde mich vor Verlegenheit.
„Ja, mein Herr.“
„Ja... was, Subbie?“, lässt er nicht locker.
„Ja, mein Herr, ich bin geil“, bringe ich fast flüsternd heraus.
„Lauter!“
Schon bin ich beinahe den Tränen nahe. „Ja, ich bin geil“, sage ich dieses Mal etwas hörbarer.
„Subbie, muss ich erst den Rohrstock holen?“, kommt es gefährlich ruhig von Johannes.
Das zieht.
„JA, ICH BIN GEIL, MEIN HERR!“, schreie ich schon fast. Salzige Flüssigkeit benetzt meine Lippen.
„Na siehst Du. Es geht doch“, meint er. „Sieh mich an!“
Widerwillig hebe ich den Kopf. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände, schaut mir für einige Sekunden in die Augen und drückt mir dann einen federleichten Kuss auf die Stirn. Die Tränenspuren lässt er wo sie sind.
„Komm, meine Kleine!“ Mit diesen Worten hilft er mir auf und führt mich ins Wohnzimmer.
„Stell Dich in die Mitte. Blick zur Tür. Position drei.“
Oh je... Allem Anschein nach hat er wirklich nicht vor, es mir leicht zu machen. Erfüllt von einer Mischung aus Angst, Trotz und Vorfreude nehme ich die geforderte Haltung ein: Beine eng geschlossen und durchgedrückt, Oberkörper mit geradem Rücken im rechten Winkel nach vorn gebeugt, Kopf in den Nacken mit Blick nach vorn, die Hände halten die Pobacken so weit wie möglich auseinander. Das ist nicht nur entwürdigend, sondern auch extrem anstrengend und bereits nach wenigen Augenblicken schmerzhaft. Beine, Rücken, Genick – alles tut weh. Mir bricht der Schweiß aus. Das macht die Sache nicht einfacher, weil dadurch dauernd die Hände vom Po abrutschen.
Johannes geht vor mir in die Hocke und beginnt mit der Akribie eines Mannes, der alle Zeit der Welt hat, das mir bereits bekannte dünne Seil um meine beiden großen Zehen zu wickeln. Aber nicht so, als ob er sie einfach nur aneinander fesseln wollte. Ich kenne seine Technik und weiß, dass er dabei anders vorgehen würde. Nein. Er verwendet nur ein Ende des Seils und lässt ein langes Stück frei.
Ach Du Scheiße!!!
Meine seit fünfzehn Jahren trainierte Subbie-Fantasie stellt erschreckend schnell die Verbindung zwischen der herab baumelnden Kette der Nippelklemmen und dem etwa einen halben Meter langen Reststück der Schnur in Johannes’ Händen her und schlagartig ist mir klar, was er vor hat.
In meinem Entsetzen habe ich immerhin noch Zeit dankbar dafür zu sein, dass mein Herr das Frühstück augenscheinlich gut bemessen hat. Ich habe keinen Hunger mehr und ein bisschen Energie getankt, der Bauch ist aber nicht so voll, dass mir bei dieser Aktion hier schlecht werden würde.
Im Stillen bewundere ich den in seiner Schlichtheit so effektiven Plan meines Herrn. Unter minimalstem Einsatz von Ressourcen wird er mich an meine Grenze bringen, also das maximal Mögliche erreichen. Das nennt man Effizienz. Sieht aus, als ob ich mir das VWL-Seminar für Nicht-Ökonomen hätte sparen können, wenn ich Jo eher kennengelernt hätte...
Meine folgende kurze Rekapitulation zum Thema Grenznutzen, Komplementärgüter, Substitutionsgüter & Co findet ein abruptes Ende, als mein Herr das Seil, welches er unterdessen mit der Kette der Klemmen verbunden hat, fest zieht.
„Das ist doch nicht zu straff, oder?“, fragt er scheinheilig in mein Keuchen hinein.
Ich entscheide, diese Frage als rhetorisch einzustufen und beiße anstelle einer Antwort lieber die Zähne zusammen.
Johannes hat sein mephistophelisches Werk beendet und zupft an der Schnur wie an der Saite einer Harfe. Leider ist das Geräusch, welches ich infolgedessen von mir gebe, nicht sonderlich wohlklingend. Meinem Herrn allerdings scheint es zu gefallen. Zufrieden lächelnd mustert er mich, dann steht er auf und geht langsam um mich herum. Vorsichtig streichelt er über meine Vorderseite, sorgsam die malträtierten Knospen aussparend und darauf bedacht, keinerlei Schwingung zu erzeugen. Die Entscheidung, meine empfindlichen Brustwarzen zu schonen oder nicht, überlässt er für die Dauer dieses Experimentes nämlich netterweise mir.
Seine Hand wandert weiter. Gottseidank nicht zu meinem Bauch. Ich habe diese riesige Problemzone zwar nicht direkt zum Tabu erklärt, jedoch von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass Berührungen dort jegliche, bei mir auch nur im Ansatz vorhandene, Erotik zunichte machen.
Nein. Die Hand wandert zum Rücken – und verursacht dort einen wohligen Schauer. Im Gegensatz zu den Rundungen zwischen Brust und Venushügel ist alles links und rechts meiner Wirbelsäule nämlich eine einzige erogene Zone. Sachte streichelt er mich.
Mmmhhh... ist das schön! Wenn nicht jeder einzelne Muskel meines Körpers schmerzen würde und die Stellung nicht so anstrengend wäre, könnte ich glattweg schnurren. Ja, wenn...
Über die Kruppe und zwischen meinen auseinandergezogenen Pobacken entlang gleiten seine Finger prüfend in mein Allerheiligstes. Obwohl meine Beine ganz dicht beieinander stehen bereitet ihm das keinerlei Mühe. Ich bin nasser als nass. Ganz kurz spüre ich ihn an meiner Klit – mmmhhh... – dann ist seine Hand wieder weg.
Einen Moment später lässt Jo sich auf die Couch fallen und macht es sich bequem. Von seinem Platz aus hat er die perfekte Aussicht. Keine meiner Bewegungen wird ihm entgehen.
„Wenn es Dir zu anstrengend wird, darfst Du Dich jederzeit aufrichten, meine Kleine“, erklärt er mir liebevoll.
Nett!
Der Mann ist echt unglaublich. Er sagt das in einem Tonfall, der nicht den geringsten Rückschluss auf meine Situation zulässt. Total gütig und fürsorglich. Dass ich hier vor ihm stehe, die Nippel an meine Zehen gefesselt, in einer Position, die mir irre Schmerzen bereitet, würde kein Mensch ahnen, der ihn so reden hört. Wer würde vermuten, dass hinter dieser freundlichen Aussage die Entscheidung zwischen zwei sich gegenseitig in Nichts nachstehenden Arten der Qual steht? Entweder ich komme damit klar, dass mein Rücken sich anfühlt, als ob er durchbrechen würde, während gleichzeitig die Rückseiten der Oberschenkel brennen wie Feuer, oder ich richte mich auf und lebe damit, dass meine Nippel fast abgerissen werden. Ich weiß, wie es sich anfühlen wird, wenn die Klemmen den Halt verlieren.
Dieses Wissen ist es, was mich davon abhält, mich einfach jetzt sofort wieder aufzurichten und den Spuk zu beenden.
Seelenruhig sitzt er auf dem Sofa und betrachtet mich, während in meinem Inneren Furcht und Stolz miteinander ringen. Ich möchte ihm so gern zeigen, dass ich mich für ihn überwinden, Schmerzen für ihn ertragen kann. Ich wünsche mir so sehr, dass er stolz auf mich ist. Dafür bin ich bereit zu leiden.
So unauffällig wie möglich gehe ich ein bisschen in die Knie. Damit wird ein Teil der Anstrengung in die geraden Oberschenkelmuskel verlagert und der Rücken etwas entlastet, aber das ist auch nur ein paar Sekunden auszuhalten. Immer weniger bin ich in der Lage, die Pein aus meinem Bewusstsein zu verbannen. Um das Unvermeidliche noch ein kleines bisschen hinaus zu zögern, beginne ich in Gedanken eines der Lieder zu singen, die wir gestern Abend geprobt haben:
Snow falls down, world’s asleep,
dreaming of what is to come...
Oh... auaaa... Beine wieder gerade, Oberkörper wieder ein Stück nach unten... ich kann nicht mehr...
So do you await the king,
to release us from our sin.
Durchhalten, Cat! Reiß Dich zusammen! Sing weiter, denk nicht an die Schmerzen!
Still, nur in meinem Kopf, singe ich das Stück nacheinander in allen vier Frauenstimmen. Als ich damit durch bin weiß ich, dass gerade mal zwei Minuten vergangen sind.
Weiter, Cat! Sing weiter!
Aber was? Die Männerstimmen fallen mir nicht mehr ein... Warte, wie ging nochmal der Originaltext?
Evening rises, spirit come,
sun goes down, the day is done...
„Mensch, hör auf mit dem Scheiß!“, quäkt mein nerviger, kleiner Emanzen-Geist dazwischen.
„Sing weiter! Halt durch! Gib nicht so schnell auf!“, hält die Mini-Sub dagegen.
Mother earth awakens me
With the heartbeat of the sea.
Auch den Originaltext singe ich stumm in allen vier Frauenstimmen.
Wieder zwei Minuten geschafft.
Und das Lied hat mal wieder seine Wirkung auf mich entfaltet. Die wunderschöne sanfte Melodie hat den Schmerz davon getragen und mir Kraft gegeben.
Ein letztes Mal stimme ich in Gedanken die Töne meiner eigenen Stimmlage an, singe den Text, den Patrick für uns geschrieben hat und mit dem abschließenden
... from our sin.
lasse ich der gesammelten Energie freien Lauf und richte mich mit einem Ruck auf.
HEI – LI – GE – SCH – EI – SSEEEEEEEEEEEEE !!!!!!!!!!!!!!!!!
Ganz kurz tanzen Sterne vor meinen Augen, dann fließen die Tränen, die sich schon seit einer Weile angestaut haben.
In dem Moment, als mir klar wird, dass der Schmerz bereits vorüber ist und bevor ich so richtig dazu komme mich zu fragen, warum ich eigentlich weine, ist Johannes bei mir. Schluchzend sinke ich in seine Arme. Ganz fest hält er mich.
Ich weiß nicht, wie lange wir so stehen. Aber als er sich irgendwann sanft von mir löst, sich hinunter beugt und das Band um meine Zehen entfernt, anschließend rückwärts zum Sofa geht, sich wieder darauf fallen lässt und mich mit sich nach unten und auf seinen Schoß zieht, fühlt es sich vollkommen richtig an. Erstaunt registriere ich erst jetzt, dass er seine Schlafhose abgelegt haben muss, während ich mit mir selbst gekämpft habe. Jo ist nackt und ich habe nicht mitbekommen, wann er sich ausgezogen hat. Gerade greift er nach dem glänzend roten Folienpäckchen, das er wohl bereit gelegt haben musste, reißt es auf und streift das dünne Latex mit schnellen, geübten Bewegungen über seine Erektion. Viel Zeit, mich über diesen Zustand zu wundern, habe ich nicht. Noch immer wortlos, aber gefühlvoll und offensichtlich voller Begehren, dirigiert er mich über seinen erwartungsvoll zuckenden Schwanz und senkt mich darauf hinab. Völlig mühelos dringt er in mich ein. Reibungslos. Obwohl sein Geschlecht alles andere als klein ist und mich im Allgemeinen komplett ausfüllt, ist es im Moment, als ob ich zwei von seiner Sorte in mich aufnehmen könnte. Warum bin ich denn so nass? Ich fühle mich eigentlich gar nicht wirklich erregt. Von einem Orgasmus bin ich gefühlt noch tausend Jahre entfernt – und dennoch bin ich so bereit für meinen Herrn.
Ich knie über seinem Schoß, habe die Arme um seinen Hals geschlungen und die Hände in seinen Haaren vergraben. Sein Griff an meinen Hüften gibt das Tempo vor. Eingedenk der unendlichen Weiten in meinem Unterleib aktiviere ich meine Beckenboden-Muskeln, die ich erst während meiner ersten Schwangerschaft überhaupt wahrzunehmen gelernt habe und konzentriere mich in den nächsten Minuten ausschließlich darauf, ihm Vergnügen zu bereiten. Anspannen und entspannen, anspannen und entspannen. Fünf und drei. Sieben und drei. Immer wieder. Die Lektüre in jungen Jahren, die mich zu so manchem selbst bescherten Höhepunkt brachte, hat sich bewährt. Es dauert nicht lange, bis er fester zupackt, sich mir stöhnend entgegen bäumt und schließlich erschöpft zurück in das braune Leder sinkt.
Weil er keine Anstalten macht, sich von mir lösen zu wollen, bleibe ich genau wo ich bin und genieße die Nähe.
„Danke, Subbie“, murmelt er ein bisschen später in mein Ohr.
Glücklich verberge ich mein Lächeln in seinen Haaren.
Ich weiß, ich habe meinem Herrn gut gedient.
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